Freitag, 15. Februar 2008

am fahrkartenschalter




„Im Zwischenstock, den zu benutzen die Hoteldirektion ihre Badegäste ersuchte, stieg eine junge Frau mit Zinksalbe auf der Nase gleichzeitig mit dem jungen Mann in den Fahrstuhl. „Wie ich sehe, starren Sie mir auf die Füße!“, sagte er zu ihr, als sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte.
„Wie bitte?“ sagte die Frau.
„Ich sagte: Wie ich sehe, starren sie mir auf die Füße.“
„Ent-schuldigung!“ sagte die Frau und blickte auf die Fahrstuhltür. „Ich habe zufällig auf den Boden geblickt!“
„Wenn sie mir auf die Füße starren wollen, dann sagen sie´s frei heraus“, sagte der junge Mann. „Aber lassen Sie die verdammte Heimlichtuerei!“
„Bitte lassen sie mich hier aussteigen“, sagte die Frau zu der Fahrstuhlführerin.
Die Türen öffneten sich, und die Frau stieg aus, ohne sich umzudrehen.
„Ich habe zwei normale Füße, und ich sehe, verdammt noch mal, nicht den leisesten Grund, warum jemand draufstarren muss“, sagte der junge Mann. „Fünften bitte!“
Im fünften Stock stieg er aus, ging den Korridor entlang und betrat Zimmer 507. Es roch nach neuen Kalbslederkoffern und nach Nagellackentferner.“
Salinger, Nine Stories, a perfect day for bananafish

Alle haben wir unseren Zettel
Große Momente und steile Abgründe sind dort wie auf einer Schatzkarte verzeichnet.

Ein ganzes Sammelsurium von Kuriositäten und Sehenswürdigkeiten, Schicksalsschlägen und Wunder liegt wie ein ungepflügter Acker vor uns. Sehen wir uns die braune Erde genau an, so liegt die Krume mal freiwillig, mal schulisch verordnet, mal in Liebe hingeworfen auf dem Weltenkörper.

Alles ist auf diesem Zettel vermerkt, vom Anblick des dahin treibenden Planeten im All, dem Wunsch dort zu leben, von der aufsteigenden Flut der Heringe und dem Einnisten in das Mutterkorn, bis zum ersten und letzten Atemzug Glückseligkeit.

Alles ist verzeichnet, einen „½ Liter Milch, 1 Pf. Kaffee, Salat, Olivenöl, Blumen, Brötchen, Fisch, Wein“, über „Lisa hat Keuchhusten, bin beim Arzt“, bis zu „Freitag, den 16.9. Theater mit Luise, Sophie, Karl“, jede noch so kleinste müde oder helle Regung nach unten in die Physik der Grabesruh und nach oben in die sieben Himmel des Lichts, jeder noch so flüchtige Gedanke, jedes noch so zarte Gefühl, jede noch so schöne Empfindung, alles ist auf diesem kleinen Zettel vermerkt.

Eine herrliche Fahrkarte.

Auf deinem Zettel stehen: „ungewöhnliche Frau“ „wie alt“, „wie groß“, „gebunden“, „seltsame Erlebnisse“ und „aus der Tiefe schöpfen“ halbwegs und ortsfremd beieinander.

All das steht so nicht auf meinem Zettel.


Er: „Es regnet!“
Sie: „Ja, denke nur, dass es regnet“ Hamsun


Im angespitzten Beziehungsfeld der Geschlechter ist Ingeborg Bachmann bisweilen doch ein heller Wachposten. Lass mich eine Zeile von ihr aufs leere Blatt werfen. Vor vielen Jahren hat eine Freundin ein Buch über das Wasser geschrieben. Ein gutes Buch. Die einzelnen Kapitel hat sie mit Zeilen aus dem Gedicht "Böhmen liegt am Meer“ von Ingeborg überschrieben. Diese Zeile steht bei mir seitdem als heller Nachlass auf meinem Zettel.


„Ist alle Liebesmüh verloren, verlier ich sie hier gern“
Ingeborg Bachmann

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