Dienstag, 12. Februar 2008

am wasserloch



Eigentlich ist doch alles klar?
Oder?
Wenn da nicht das Leben selbst wäre.

Diesem herrlichen Leib aus Physik, Weib und Schokolade.

Erst halb erwacht, dümpeln und wühlen wir immer noch amphibisch in den Sümpfen unserer lichtlosen Instinkte, atmen ängstlich hinter dem Sonnenschirm des Nichtwissenwollens, inszenieren liebend leidende Pose, hintergehen klagend den Balg mit grellen Blitzen aus dem Gehirnschacht, diesem elenden Blecheimer aus rauf und runter, diesem beißenden Pumpen eines sauren Stoffes in den Lungensäcken, kriechen mit argwöhnischen Augen schmerzverzerrt zurück in das Gitterbett des Sapiens, in das erlösende Grab der Totenstille, dem kosmischen Ich und seinem lichtabweisenden Mantel, dieser schwarzen Wiege, diesem Nein-Ja-Nein, diesem mordlustigen Showroom des Sapiens.

Der Zweibeiner kriecht lieber an das erlösend geglaubte Kreuz, zurück in die geschlossene Anstalt, in die Schule der Kaserne, zwängt sich freiwillig in die modische Anstaltskleidung und bedient gehorsam den gläubigen Hospitalismus vor der Klagemauer, atmet lieber sterbende Galaxien, statt einen Augenblick Brot und Licht.

"Ich auch"
M. McIron

Sehe ich mich um, so sitzen einige andere mit mir zusammen in dem Gitterbettchen und wiegen sich im Nein-Ja-Nein Takt, wollen mit Gewalt zum Stein der Weisen, mit feuchten Träumen unter den Rock der Prälaten, wollen mit bangem Anklopfen erst eine amtliche Beglaubigung, zwängen sich händeringend nach Entschuldung in den Beichtstuhl, wollen mit wissenschaftlichen Beweise freien Einritt in die Beamtenwahrheit, wollen endlich sicher sein, wollen Jahrhunderte weiter so und ellenlang messen, bevor sie das Helle, die Sonne in ihrem eigenen Leib, als Lebensstoff, Wirklichkeit und Seele ihres Erwachens offen ansprechen und nach dem Weg fragen.

Gestern sah ich ein Interview mit Jim Rakete, einem Fotografen aus Berlin.
Er hat Plattenkameras am Start, Linnhoff und Mamiya, kosten so 10.000 Euro pro Stück mit allem drum und dran, produzieren eine brillante Tiefenschärfe, eine Läuterung, die die Nebelkinder im Alltag so vermissen und nur im kurzen Freigang um die Ecke, vielleicht im Liegen auf der Sommerwiese, in vorbeihuschenden Kinderaugen, im erschöpften "Guten Abend, was kann ich für sie tun" Wort eines Bankangestellten, im todmüden Augenwinkel eines Busfahrers beim Einwischen des Wechselgeldes, so nebenbei geschenkt bekommen.

Lohmeyer, der eloquente Frager vom Dienst, sonst ein guter Ballzuwerfer, stellte bescheuerte Fragen, so dass ich schon ärgerlich wurde über die einengende Stanzform, das Fragen einer intellektuellen Blindschleiche.

Rakete befreite sich durch nicht in die Kamera blicken, er antwortete mehr dem leeren Raum und wortsuchend dem Fußbodenbelages seines Berliner Studios.
Warum kommt mir Rakete in den Sinn?

Sehe ich mich um, sitzt Rakete neben mir im Gitterbettchen, obwohl er schon mit dem, was er tut, Linse fängt Licht ein, raus aus dem irdenen Grab ist.

Doch er wird nicht müde, sich selbst nicht zu trauen, beschmiert sich immer wieder und gerne mit Asche und vernebelt sich im Dunst des Intellekts, ja kokettiert mit dem sauren Denkstoff des Zweifels, so als müssten wir, solange wir Sauerstoff atmen, Zweifel atmen, müsste das Menschsein, das kleine Pfötchen Licht auf dem Zellfilm, vor dem Stellungsbefehl der eisernen Kommandantur des Sapiens, in Himmel, Höhlen, Höllen und Dunkelkammern wie Juden vor den Häschern im Keller verstecken.

Rakete, was soll das Versteckspiel?

Jeden Tag, wie jeder andere Sapiens, stehe ich auf und gehe in die geschlossene Anstalt eines Abgesangs, eines Zuchthauses des Arbeitskonsums, Schule der Nation. Freigang habe ich manchmal nachmittags, wenn die Tiefebene windig den Himmel freigibt und ich auf zwei Rädern raus kann, so wie Wolfgang aus Weimar vor den Bewunderern, den nach dem Mundrednern und vor den Anhimmelnden nach Italien zu den Zigeunerinnen flüchtete.

Mache ich meine Arbeitstür hinter mir zu, drehe den Anstaltsschlüssel des feudalen Grundbesitzes in seinem demokratisierten Schloss herum, gehe auf den Bürgersteig, steige in den Bus, setze mich allein, stehe gemeinsam mit anderen auf, steige aus, kaufe ein, steige wieder mit anderen ein, fahre mit dem Bus, steige aus, gehe heim. Auf den Stufen in den 1. Stock des Haues, schon vor der eigenen Haustür, nestele ich herum, versuche zuerst all die jungen Sprengstoffgürtel mir vom Leib zu binden, die mir auf dem Heimweg wie heilige Bücher von all den anderen Morgenlandfahrern heimlichst um den Leib gebunden wurden.

In der Nacht dann wieseln die Sprayer mondlos über die Gleise und hämmern wie Arthur und Friedrich die feinen Sprengladungen auf den Hochsicherheitstrakt des unbewussten Betons. Eine hochexplosive Legende schreit da von den Mauern in die Welt, eine spasmische Wahrheit aus Gangsterrapp, grell geschminkten Lolitas, einer Überdosis Zucker aus Fick deine Mutter, prügelnden Muttersöhnchen, die allesamt tagsüber auf den Kasernenstühlen der Fabriken, Büros und Schulfluren wie Fische auf dem Trockenen unentwegt vor sich hin zischen, zappeln, zündeln, nach Licht, Luft und Leben schnappen.

Das eiserne Zollamt, der knöcherne Geizkragen, das mentale Gerippe, das mathematische Kontor des eigenen Vorteils, zahlt jedoch weiterhin mit vereidigter Miene das unsterbliche Kleinod, den bewussten Leib, als sterblicher Münze aus.

Im Kopf allein wird das Ereignis zum Selbstmordanschlag und zum Triumph für all die Titanen und Lichtklauer, die schon die Massengräbern längst gewinnbringend ausgehoben haben. Heraus marschiert kommt ordensgeschmückte ehrlose Parade der Hungerleiber, Schwerhörigen, Ohrabschneider, Einsiedler, Märtyrer, Mörder, Witwen und Waisen, all die Einbeinigen, die Abfallsuchenden und all die Stillgeweinten am Ende des Zuges mit ihren Trommeln und Posaunen.

Laute Kinderleichen.

So ist das in gekrümmter Zeit, an dieser gottverdammten Ecke der kosmischen Provinz, dort wie hier, wo sich Existenzen lebend und tot ständig wieder begegnen, alles so herrlich doppelt ist und sich alles in Vorfreude auf das erste Wort im Freihafen der Küchentische und Kaffeehäuser liebend zu umarmen beginnt.


Schaut man sich jedoch genau an den Küchentischen und in den Kaffeehäusern um, hört man genau hin, so sitzen Nomaden und Sternendeuter nebenan am Tisch. An den Ufern der Zusammenkunft, zwischen all dem Kuchen, Schnaps und Kaffees, schweben die Silben gliederlösend wie weiße Wölckchen durch all die nichtsnutzigen Ohren.

Sieht man in die Gesichter der fremden Wanderer am anderen Tisch, erkennt man sein eigenes. Eine Radio am Zellgrund, eine helle Passage, kosmischer Handelsweg, hoch empfindlich für Sendungen aus dem Hintergrund des Welttheaters, empfängt sekündlich das aufhebende Signal, das alles Dasein mit dem Nullpunkt zum Traualtar trägt.

Die Tür ist offen.

Die Pest des Denkzweifels, diesem elend schwarzklebrige Stoff, der seine Spuren als ein sinnloses Ende, als eindimensionales „umsonst“ wie ein Totengräber seine Schaufel und Grabrede auf der Zellmembran allesfressend hinterlässt, lenkt das kleine Signal aus den Anfangsbedingungen notorisch und elend dumm als falschen Hilferuf auf das Schlachtfeld des gewinnbringendes Mordens, bebaut mit Denkmälern und untermalt mit philosophierenden Seufzern.

Ach und ja.


Ich sitze auf meinem Stuhl, renn in meinem Labor herum, spitze meine Feder und schreibe und schreie mich still nach unten wie ein Schlagbohrer im Kohleflöz ins Freie, so wie jeder auf seinem langen Lebensseil balanciert, solange bis die säuselnden Atome das Theater der sterblichen Verfassung verlassen, frei nach oben driften und mit einem "ichbines" endlich im Unendlichen wieder bewusst aufatmen. Dann, in einem unmerklichen Augenblick, sehe ich auf und um mich und finde mich in der weiten Ebene der Savanne wieder, wie ich mit anderen Impalas zum Wasserloch gehe und Licht hole." 

J.G:

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überaus

 still ein blatt im wind   ©   by  J. G: