Samstag, 23. Februar 2008

in der feuerpause


hinter den herzkammern maschinen stop
fluten
der maschinist, mit seinen ölverschmierten händen
ändert den kurs

unten am kai
du
was für ein lächeln

dann
leinen los

die halbe überfahrt noch
zartes süßes kommen

o du mein alter passagierdampfer
bist blind geschlagen in deinem lack
auf deinem vordeck
diesem schrägen irgendwas
auf diesem dahinliebenden blauen rand
werde ich endlich hören können was sie sagen
und was sie singen so fern
was da sein will
im großen und ganzen
auf breiten und längen

auf hoher see
funke ich die aktuelle position der schiffspassage
für die peilung
habe ich funkraum und stille
heimat und deutschland allein genügt hier nicht
stille also

stillstand
stillstand, so sagen die treuhänder der blanken münze
stillstand, das sei der tod

ich einzeller auf der funkbrücke
ritze mir auf der überfahrt durch die meeresenge
als beweis vor und nach
all den geheimdiensten und gerechten
einen notenschlüssel an die zersiebte bordwand
und schreibe mein lied
kratze es durch die farbe des rostigen lebens an das nackte eisen
vorbei an den querschlägern und granatsplitter
hin zur liebeskante

an aus
seit millionen von jahren
fressen und gefressen werden

im noblen speisesaal des dampfers
überleben sie reichlich
versicherungen der art
die ewige wiederholungen
ein serienerfolg
ein beutepanzer aus chitin
die s-klasse
lebenslänglich arbeit
sterblicher gewinn

in den privaten kabinen
die andacht
das denkmal: „ich hab´s geschafft“

fressen und gefressen werden
an - aus

meer des lebens
begradigt begraben
leichtmatrosen unter deck

weiter geht´s mit dem gekritzel des maschinisten
oben rechts
unter dem kohlestrich ein dünnes auf und ab
kaum zu entziffern
eine wirtschaftsbilanz der besonderen art
leben
das vom tode lebt
24 stunden heckenschütze
an - aus

ich erinnere
erst auf die beine, dann musst du warten
bestimmt kommt noch einer aus dem versteck da drüben
der will bestimmt helfen
den schieß in den bauch
warte noch, warte
vielleicht kommt noch ein dritter
dann hast du sie alle drei
dann kassier ab

ich funke
tageskurs gefallen
börse ohne wert
mit offizieller genehmigung der schusswechsel
die generäle ordern nachschub
schiffseigner fordern mehr von dieser fracht

an - aus
fressen und gefressen werden
dreikommafünfmilliarden jahre

dann
in der früh
noch vor der dämmerung
die letzte funkbrücke
ich stöpsel herum
verbinde den rest der welt
übertrage alles was mir in die quere kommt
sende auf die brücke, in die suiten und kabinen
hinunter zum maschinisten
rauf zum kapitän

guten morgen sarajewo kosovo
die news
roter schnee vor deinem haus
europa
in deinem keller der moslem
erschossen
erschlagen der serbe auf deiner treppe
vor deinem dorf der kroate
gelyncht
die da
ja, die zwei mit der plastiktüte in der hand und dem hungergesicht
wer erschlägt die

dazwischen noch
kurz vor sendeschluss die einschaltquote aus der heimat
65 millionen tote
menschen
da
erschlag du sie
die versauen uns hier alles
stehlen uns das wasser und rauben uns den zuckergott

abschalten
brüllt der maschinist
abschalten
maschinen stop
kurs ändern
einen anderen kurs für dieses eisen

maschinen stop
fluten

steuerbord schlagseite
schiff sinkt rasch
sie schreien
sie kreischen
wo ist der funker

besatzung löst sich auf
ich funke noch den rest striche und zahlen
gehe dann auf position null

für mannschaft, mörder und passagier
kiemenatmung und beiboote

hinter der kalten wasserwand dann
tiefoben
atme ich grundlose kuhle
honigbrunnen unter dem riff
treibe dahin
fresse keinen mehr
in den reisfeldern
vor den toren pretorias
erschlage keinen mehr
in den straßen von new york
vor der heimatküste
so
wie wir es in der alten haut schon zu tausenden gemacht haben
im indianerland
erschlagen erst die kinder
dann die frau und dann erschlagen sie mich
den kleinen funker aus shanghai

maschinen stop
fluten
an - aus
an
aus
aus

aus dem poém "mein könig" von Jonathan Goodwill

geschrieben und vorgetragen im Frühjahr 1992
anläßlich einer veranstaltung im rahmen einer spendenaktion
für die flüchtlinge in restjugoslawien
  ©   by  J. G: 

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überaus

 still ein blatt im wind   ©   by  J. G: