Montag, 27. April 2020

Stunde um Stunde


Tag für Tag und Nacht für Nacht
Mit der Lore in den Kohleschacht
Immer tiefer hinein
Von Anbeginn
Hellauf entbunden
Schlage ich von weit her kommend
Mit der Übermacht von Äonen
Wie ein Eisenhammer liebeskrank hernieder
Leben für Leben
Meter für Meter
Breche ich den Flöz mit meinen Händen

Beharrlich ziehe ich meinen Karren
Fallend aufwärts
Weiter
Tiefe um Tiefe
Schicht für Schicht
Höher hinauf

Kindlich
Spaziere ich am Ende des Schachtes durch das gefräßige Maul
Spielend
Vorbei am ewigen Murmeln der Gesteine
Vorbei am unterirdischen Gedränge der Kontinente
Vorbei an dem weißen Staub der Schultafeln
Abwärts
Tiefer hinein
Zu der alles empfangenden Membran
Dem brennenden Saum
Am Hohlraum der Zeit

In dem feinen Cheviot
Undurchdringlich eingewoben
Der unbewusste Fels
Das Gestein
Die Ignoranz der Atome

Hauchdünn
Die Klagemauer der Gebeine
Pechschwarz
Die geteilte Welt
Totmachend
Der Film der Gedanken

Mit einem feinen Stich ins Herz
Zerschneidet das Zelluloid
Meinen Seelenleib
Messerscharf
In tausend Stücke

Endlich
Im Unendlichen dividiert
In allem Da
Das Mysterium der Myriaden
Atmet 
Radioaktiv aus dem Hintergrund
Ohne Widerstand durch die Zellwände
Aufgelöst
Im leeren Raum der Atome

Im Leib
Dann
Das Wort
Licht
Unendliche Teilung
Eins

Geöffnet das Jahrmillionengrab
Durch einen Spalt
Das Sehen
Physisch bewusst
Ich und Du
In einem Nest

Im Nebel des frühen Tages erlöst
Steige ich am Morgen
Mit schwarzen Händen aus dem Beginn

Aus meinen Händen 
Der ersten Regen
Tropft
Lebendig
Narrengold

In den Abendstunden dann sitze ich am Tisch
Ein Glas, ein Blatt, ein Stift
Der Himmel unter mir
Schreibe auf
Das Leuchten der Welt

J.G:

Sonntag, 26. April 2020

Gottesanbeterin

"Wird einem das Wort wie eine süße Frucht in den Mund gelegt, dann soll man auch davon probieren."

Die Woche ging schneller herum als ich mich umsehen konnte.
Mittwoch war ich wie alle Schulpflichtigen erledigt.
Fototermin in einer staatlichen Schule.
Der Auftrag,
Neugier.

Indianer, die Hölle ist nichts dagegen.
Jugend, o mein Gott, was für ein herrlich loderndes Feuer, was für ein segensreiches Aufwärts. Von morgens um 9 bis nachmittags um 4 findet es sich eingesperrt in einem nach ranziger Butter riechendem, rechteckigen Raum.

Eine Brandstätte aus kahlen Wänden, umgekippten Stühlen, heruntergerissenen Bildern, verschmierten Tischen.

29 mal aus dem Fenster starrendes, junges Leben.

Am Boden finde ich Achtloses,
Weggeworfen.
Das Lied des Lernens.
Leergut.
Stifte, unbeschriebene wie beschriebene Zettel,
Zerrissenes, halbe Radiergummis, angekaute Äpfel, weggeworfenes Brot, vollgerotzte Zementplatten.

Säuglinge des Lichts.

Den staatlich verordneten Pflichtschultag verschlafen sie, wie die Indianer in den Reservaten, da sie ahnen und wie alles junge Wissen partout nicht lernen wollen, dass junges Leben sterben muss.

14 Tage brachte ich in diesem Zuchthaus der Buchstaben, Zahlen und Seelen zu, umringt von einer herrlichen Affenbande aus halbstarken Muttersöhnchen und bauchfreien Lolitas.

Dann das erste Foto.

Vom Sturm der Begierde nach Freiheit entfesselt, löste ich mich aus der Zentralperspektive, driftete Stunde um Stunde, mit den Schoßkindern wie eine müde Herde von Quallen im großen Ozean zur Küste der Erwartung.

Pause.

Endlich am vorletzten Tag der fallende Beginn.

Das Motiv.

In der Früh.
Vor Sonnenaufgang.
Unausgeschlafen wie Stroh aus dem Vorjahr stiefelst du an die Weide, um bei den Ackerwinden nach der Choreografie der Pferde zu schauen.

Hinsehen. Wie immer.
Immer wieder genau hinsehen.
Ja, man muss genau hinsehen, hinsehen, wenn einer kommt, dasteht oder sitzt, und wenn einer geht.

Jim, Jenna, ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie, Schüler, alle kommen und gehen gleichzeitig.
Erstmals sah ich leibhaftig im jungen Habitus den hellen Tanz der Materie im noch unbewussten Leib.
Alles steht still und bewegt sich.
Gleichzeitig.
Grandios.

Der Eingang ist auch der Ausgang.
Das Lächeln der Mona Lisa.
Der Tod, ein Witz.

Schließe die Augen, Indianer.
Fühlst du den breiten Strom der großen Wasser.
Höre, welche Namen sie tragen.
Nil. Mississippi. Ganges. Jenessai. Rio Negro. Okavango. Jangtsekiang.

Im Angesicht einer Schülerin sah ich dann endlich die großen Flüsse aus den sieben Himmel strömen.

Seelendurst brannte in ihren Augen und mit ihm löschte sie alle Erinnerung von Schulweisheit aus. Erhaben glänzte das Unsterbliche und flog auf einem selbst geschnitzten Pfeil über den breiten Strom der Generationen selbst liebend ins Freie, während das tote Gehölz der Buchstaben gelehrt und müde an ihr vorbei trieb."

  © by J. G:



Das Schöne war, wenn eine künstliche Fliege an ihr vorbeizog,
hat sich die Gottesanbeterin zurückgelehnt und hat Zeitung gelesen.
Ganz anders als eine lebendige Fliege vorbeikam.
Da hat sie „Schnapp“ gemacht.“


v. Foerster

Samstag, 25. April 2020

vielfach

„Politisch passiert derzeit die molekulare Ablösung
des analytischen Stoffwechsel auf der Zellmembran
der Spezies Sapiens.
Ein Akt zur Menschwerdung."


Johan van der Leeuwen

demnächst


"... mitten im gewühl
sieht sapiens sich
mensch."

Johan van der Leeuwen

Donnerstag, 23. April 2020

Halle der goldenen Glöckchen

"Sollte der ahnungsvolle Leib in seinem liebenden Verfall geneigt sein mehr erleben zu wollen, so raten in diesem irdischen Bühnenbild alle naiven Sedimente der Nomaden und Sternendeuter die Zelte abzubrechen und mit einem geschnürten Bündel den gewohnten Ort der alphabetischen Reihung in Richtung indianischer Hochebene zu verlassen." 

           ©   by  J. G: 

wahrnehmen

frisches jetzt

J. G:

Sonntag, 19. April 2020

Wohnzimmer

Schon immer.
Jetzt Öffentlich.
Weltweit.

Erinnerung an den Ursprung 
nach vorn, 
zu dem Geist, 
aus dem Leben gemacht ist.
Miteinander.

Dass es einer solch krisenhaften Bloßstellung bedurfte, das ist bedauerlich, jedoch erinnert es den Mensch in dieser Zeit zutiefst an den kreativen Geist des Zusammenhalts, ohne den jeder Atemzug an Lebensfreude in der Millionen Jahre Geschichte auf diesem Planeten sich leiblich in Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Güte nicht fühlen, denken und handhaben ließe.


Johan van der Leeuwen


Freitag, 17. April 2020

das muss


In der Süddeutschen lese ich die Überschrift des Statements von Herrn Yuval Noah Harari, der mit seinen Büchern „Homo Deus“, „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ und „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ weltweite Furore gemacht hat in der Abteilung „da geht es lang“.
Die Überschrift lautet: „Nicht das Virus ist die größte Gefahr, sondern der Mensch“

Ne, Herr Harari, so nicht.

Weder das Virus ist die größte Gefahr, noch der Mensch.

Ich erzähle einmal eine kleine Geschichte aus dem Leben von Kaspar Hauser. Sie stammt aus dem Film, in dem Andre Eisermann den Hauser spielt. 

Nachdem er aus seinem Verlies befreit wurde, von dem Lehrer eingekleidet und begonnen zu unterrichten, kam ein englischer Adeliger ins Haus des Lehrers, zusammen mit seinem Diener. Er zeigte Gefallen an dem jungen Hauser, kleidete ihn ein und nahm ihn eines nachmittags mit zu einem Picknick am Waldesrand. Der Diener deckte ein, der Adelige amüsierte sich, aß ein Stück von einem Hühnchen, Kaspar schaute in die Welt und freute sich an seinem neuen Kleidern. Gegenüber, nicht weit entfernt von dieser Szene standen zwei Kinder in abgerissen Kleider, sie machten einen ärmlichen und hungrigen Eindruck.  Da warf der Adelige einen Hühnerknochen vor die Füße der beiden Kinder, die sich auf diesen abgenagten Knochen stürzten. Hauser sah das, wandte seinen Blick zu  dem Adeligen, der zu Hauser sagte: „So sind die Menschen.“

So nicht.

Denn die Entwicklung des Sapiens hin zum Menschen ist noch nicht abgeschlossen. 

Spricht man über das Verhalten dieser Spezies Homo Sapiens, so spricht man auch immer von dieser, als einer Spezies, die überwiegend Denken und Handeln aus einem unbewussten Betriebssystem, d.h. in Unkenntnis der inneren Lebenszusammenhänge sich organisiert. 

Die Entwicklung in die mentale Erkenntnis der inneren Zusammenhänge des Lebens sowie der Integrierung in das Denken und Handeln der Spezies befindet sich, berücksichtigt man die Historie der mentalen Evolution, so kann man die Verfehlungen der Spezies nicht in Gänze dem Begriff Mensch zuschreiben, sondern dem mentalen Entwicklungsstand der Spezies Sapiens., der industriell wie finanzpolitisch außerhalb der Lebens-Zusammenhänge sein Hochhaus gebaut hat.

Lässt man diese Inhärenz der Evolution ausser acht, so übersieht man die grundlegende Anlage in der Entwicklung von Lebensformen, die Kooperation. 

Der Begriff Mensch wird mit diesem Argument, wie es Harari tut, vorverurteilt, wie es unbewusst immer wieder in allen Sprachen fatal im Kreislauf eines unbewussten Betriebssystems repetiert wird. 

So ist der Mensch, sich selbst gegenüber, der Verdächtige, der Feind, wird als Täter ausgemacht, verfolgt, eingesperrt, präjudiziert, und letztlich als das Übel des Ganzen zur „ endgültigen Lösung“ ausgeschrieben, gesetzlich legitimiert als der Schuldige auf die Anklagebank gesetzt. 

So verstanden, lebt das Menschliche in der Spezies Sapiens in einer solchen Formulierung, wie es Herr Harari vornimmt, schuldig in einem Todestrakt. 

Das Schöpfungswesen, das seit Jahrhunderten darum ringt Mensch zu werden, der Souverän, das Human Kreative, das Leben selbst, dieses ruft weiterhin in allen Sprachen aus seiner Haft frei gelassen zu werden. 

Das kann nicht unwidersprochen im Feuilleton vorbeidefilieren.



Johan van der Leeuwen

Freitag, 10. April 2020

Freitag

Madame
Kommen sie
Sehen sie doch
Der verlassene Ort
Das tiefe Begehr
Hier
Steigt es auf
Durch all die Zellen
Großzügig verteilt
Zu sein
In allem
Was wir werden
Hier, Madame
Sind alle Dinge nicht nur lebendig
Sie sind
Schon vor allem
Hellauf gewünscht
Schnell Madame
Machen sie ein Foto
Kommen sie
Wir gehen noch ein Stück

J. G: 

Donnerstag, 9. April 2020

überaus

 still ein blatt im wind   ©   by  J. G: