Montag, 14. April 2008

so wie es mir gefällt

„Im letzten Akt, in der Vorbereitung auf die unerlässliche Szene, die zur vergnüglichen Eintracht der gesamten Gesellschaft, Schauspieler wie Publikum führen sollte, bekam ich unerwartet meinen zweiten Auftritt, den ich dem geplatzten Hosenband des Herrn zu verdanken hatte.

In Aufbietung meines gesamten Mobiliars menschlicher Verbrüderung sprang ich wie vom Blitz getroffen mit einem überschäumendem Tatendrang der Hingabe an die Harmonie des Lebens wie ein schottischer Schafsbock auf die bedeutungsvolle Lichtung der Weide der Liebe und war zutiefst gerührt und überwältigt von dem Anblick, der sich mir im letzten Akt darbot.

Erstmals sah mein junger Leib in einer fassungslos, brillanten Klarheit von der Innenseite der Weltenbühne freimütig in das Angesicht einer wahrhaftigen Welt.

In meiner unbändigen Freude der lebendigen Teilnahme am Geschehen erstarrte ich vor Glück und war einen ewigen Augenblick lang saumselig für das nötige Geschehen in der Dramaturgie des Schauspiels. Ich sah mit meinem Milchgesicht in das weite Rund des Theaters und eines der Wunder des Lebens breitete sich episch in seiner ganzen Pracht für nur einen Moment lustvoll vor mir aus.

In diesem stillen Glanz des Verlangens der Welt trat ich mit der ganzen Not eines Grünlings ahnungslos und mit glühenden Wangen vor den samtroten Rocksaum der Dame des Herrn.

Nun war der Herr der Dame ja nicht fort, wie bei der Generalprobe, in der ich die gesamte Rolle des Liebhabers zu spielen hatte, sondern der Liebhaber Höchstselbst stand in der entscheidenden Schlüsselszene mit gerissenem Hosenband bereit zur dramatisch gespreizten Liebesdeklamation.

Der Liebhaber jedoch verschwand auf dem Höhpunkt des Schauspiels plötzlich von den Brettern der Welt. Wie von einem schottischen Blitz getroffen eilte er peinlichst betreten mit einem von seinem Diener unglücklich über ihn geworfenen Mantel von der Bühne.

Stattdessen kniete ich wie von Zauberhand aus dem Nichts geschaffen vor der Dame des Herrn, so als hätte Schauspielmeister William sich im letzten Augenblick doch noch kurzerhand für eine Änderung des Manuskripts entschieden.

Das Bild muss erbärmlich, ja jämmerlich ausgesehen haben und doch bin ich zurückschauend beruhigt. Sind es doch offensichtlich die unvorhergesehenen Ereignisse im Theater des Daseins, die bei allen Zuschauern des lebendigen Gemäldes, schlagartig in nur kurzer Zeit eine bis ins unendlich hineinreichende Raserei von Frohsinn und Begeisterung auslösen.

Ausgesehen muss ich haben wie der heilige Antonius zu Füssen des Herrn Jesu im Beisein seiner Geliebten Maria, derentwillen er ja später auch aus dem Grab auferstanden ist, weil sie ihn so überirdisch geliebt habe, als ich Jüngling und nicht der Herr der Dame die Worte sprach.

„O Madame, sie schon immer göttlich
und alles ich noch Mensch“

Das im Welttheater der irdischen Provinz versammelte Publikum vergnügte sich zu meinem Behagen gelungen und dabei herrlich frei an meinem Kniefall und johlte über die ungeahnte Hochzeit in einer vor Beglückung trunkenem Wahn.“ 

„Der Deutsche macht immer wieder einen kleinen Fehler.
Er verwechselt Schaffen mit Arbeit.
Kleiner Fehler, katastrophale Wirkung.
Schaffen, so notieren Poeten und Kantaten,
ist die Quelle der gesamten Geistesgeschichte der aufwärtsgerichteten Reihe der Familie der Seelen.

Nicht nur der Deutschen.

Arbeit dagegen ist nur ein münzverhaftetes Betriebssystem, 
die Basis einer kopfeigenen Epoche, 
die jetzt ihrem schwererarbeiteten Ende entgegen geht.

©   by  J. G:


Sonntag, 13. April 2008

am fluss


„Schon gleich in der ersten Zeile
musst du ihnen in den Schritt greifen.“ J.G.


"Wenn sie mich fragen, „ich“ das sind die Leute, im Grunde die ganze Welt.

Ich traf Felix.

Er fuhr mit einem alten Rennrad den Strandweg entlang.

Ich rief: Felix.

Er schaute sich um und rief: Hey John.

Er stieg ab und kam groß und stattlich auf mich zu. Ich hatte ihn gut 3 Jahre nicht gesehen, er hatte offensichtlich gut gelebt und dementsprechend etwas an Umfang zugelegt, aber nicht zu viel.

Mit ihm fuhr ich vor einigen Jahren aufs Schloss und von dort nach Prag ins „u slateho tigra“, zum goldenen Tiger, zu meinem literarischen Ziehvater.

Bei unserem Aufenthalt im Schloss gab es ein Konzert im großen Saal, dort wo sie zu DDR Zeiten Turnunterricht abhielten und wo noch immer das Seitpferd wie ein quergelegter Sarkophag aus einer vergangenen Zeit schräg hinter dem schwarzen Flügel magnesiumbedruckt thront.

In diesem glänzend verstaubten Raum spielte Felix australisches Schwirrholz. Mit diesem Instrument begleitete er den jungen Goethe bei einem improvisierten Klavierkonzert. Ein grandioses Konzert war das, das auf dieser Welt seinesgleichen sucht. Mein Freund Harry, der bei der Bank Derivate handelt und in den Pausen auf dem Klo Eichendorf liest, sagt dazu immer, gegen unsere Konzerte sind die Aufführungen in der Royal Albert Hall ein glatter Schiss.

Irgendwie hatte ich ein beruhigendes Gefühl als ich ihn anschaute, denn in seinen Augen atmete unter dem Horizont noch immer ein großes, leuchtend blaues Meer tief ein und aus. Seine Rastazöpfe hatte er wie eine karibische Sonneninsel unter einer dunkelblauen Mütze achtlos aufgesteckt.

Im Zeitraffer, zak, zak, zak, erzählte er mir von seinen amourösen Abenteuern und wilden Eskapaden der letzten Jahren, ganz so als stände die gesamte Erdgeschichte wie ein gewaltiger Fels vor mir und habe die ernsthafte Absicht lückenlos die Evolution der Arten mit ihren schillernsten Affären und ihren phantastischsten Tragödien in ganzen 3 Minuten in allen Einzelheiten ausführlich vor mir auszubreiten.

Eine gewisse Zeit, so gestand er, habe er unter dem Lebewohl seiner geliebten Doktorin gelitten, die er einen Sommer lang so heftig geliebt habe, dass am Ende alle Bilder der Imagination der Reihe nach von der Wand gefallen seien.

Seine zweite feste Liebe der vergangenen Jahren, eine rassige Frau aus Südamerika mit bis zur Hüfte reichenden schwarzen Haaren, sei leider auch verflossen so wie Amazonas in der Wüste Sahara nach der Kontinentalverschiebung des Urkontinents Pangäas.

Doch jetzt sei alles wieder so wie es sein soll, freudetrunken und fruchtbar. Die Damen flatterten wie bunte Fähnchen am dänischen Nationalfeiertag vor seinem Fensterchen hin und her und er brauche sie nur noch ordentlich zu bedienen, dann käme alles von selbst, so wie es sein soll. So könne er mühelose mit ein wenig tirilieren Tag und Nacht Hochzeit feiern ohne jemals zu heiraten.

Groß und breit standen wir beide bei diesen Worten recht dicht beieinander und staunten über die unverhoffte Begegnung, eine Art von Bewunderung des Lebens, eine tiefe Selbstbegeisterung im eigenen Leib, eine im Grunde bodenlose Einsicht des strahlenden Körpers in das große Ganze, das niemand wirklich tot ist, niemand.

Dann erzählte er mir noch, dass er, nach dem er mit einem Golf zwei Benz zerlegt, Fahrerflucht begangen hatte und zu zwei Monaten Knast verurteilt worden war. Ich fragte, ob er Aufzeichnungen gemacht hätte. Nein, sagte er, seine Arbeitgeber hätten ihm da großzügig mit Geld rausgeholfen.

Schade, sagte ich.

Es war erst halb zwölf Uhr am Mittag und sein Blick schwamm tief bewegt und frisch beglückt in jener jubelnd zärtlichen Umarmung nach der sich die ganze Welt jeden Abend und jeden Morgen so unendlich sehnt.

Wir verabschiedeten uns und jeder ging seiner Wege. Auf dem Rückweg machte ich gegen meinen Willen an der Strandperle halt und sah ihn hinter dem glaslosen Fenster des Ausschanks wieder.

Die Sonne hatte sich an diesem Frühlingstag hitzig über dem Hafen postiert und ergoss sich gleißend über Kräne, Schiffe und Wellen.

Strahlend begrüßte er mich, so wie er jeden Gast begrüßt, laut und leise, herzlich und am liebsten mit einem Weizenbier mit zwei Zitronenstückchen auf einer Kuchengabel aufgesteckt.

Ich sagte, dass ich Hunger hätte und nicht wisse was ich essen solle. Eine junge Frau, die neben mir stand, bestellte nach kurzem Zögern eine Bulette mit Kartoffelsalat. Felix bediente sie schnell und obendrauf, als Extra Portion, eine kleine lyrische Schmeichelei. So wie es sein soll, antwortete die junge Frau und nahm ihre Bestellung wie das Wechselgeld dankbar entgegen.

Für mich gab es eine Bockwurst mit Senf.

Gleich vorne setzte ich mich an einen Tisch mit vier Stühlen.

Es ist nicht üblich, dass ich zu solch früher Stunde Bier trinke und dazu noch Weizenbier. Bei einer heftigen Liebelei hatte ich mal zuviel von diesem gärenden Saft getrunken, so dass es im Morgengrauen nicht zu der erhofften Umarmung kam und es am Grunde meiner noch jungen Lebensphysik noch tagelang in mir weitergärte wie in alten Holzbottichen niederbayrischer Brauereien. Seit dieser nächtlichen Begebenheit meide ich solch maßloses Zeitnehmen an der Welt.

Doch mit seinem prächtigen Anwesen animiert mich Felix so sehr, dass ich alle gebildete Vorsicht vergaß.

Kaum hatte ich Platz genommen, brachte er mir ein großes, überdimensionales Fotoalbum, so eines hatte ich noch nie in den Händen gehalten. Das Album vermittelte von außen betrachtet einen stark abgegriffenen, vergessenen, ja einen archäologischen Anschein und durch seine Größe gab es der Stunde etwas geheimnisvolles, ja Märchenhaftes.

Ich schlug das Album auf und alles was ich an Lebensmaterie am Leib trug verschwand in der fotografischen Oberfläche wie in einem stillen See.

Von einer Sekunde auf die ander war ich verschwunden in diese, Album.

Heiter angelehnt an den ruhenden Himmel einer schottischen Landschaft begegnete ich Felix in einem jungen Lichtbild, in seinen ersten adonischen Jahren.

Ein Sommernachtstraum.

Auf den großblättrigen schwarzen Seiten des Albums waren ganz sorgsam und mit liebvollem Bedacht nur ein oder zwei Bilder aufgeklebt, nur weinige Male drei oder vier, am Ende des Buches auf der letzten Seite sogar zwei Farbbilder nebeneinander, die mich wundersam ansahen.

Sogleich holte ich mir von Felix mehrere Pappstreifen, die man für heiße Bockwürste braucht um sie anzufassen. Die steckte ich im Bereisen der schottischen Tage in die weißen Wolken des Albums, die Seiten mit den wundervollsten Aufnahmen.

Manche Bilder waren recht belanglos, ja wie man sagt trivial, nichtssagend, doch es war gerade das Nichtssagende, dass der Bilderreise den Zauber von naiver Anmut verlieh.

Es waren Bilder von Steinen, Felslandschaften, vom Meer, von Fahrrädern, Bilder von Hügeln, Bilder von Landschaften mit Zelten, Bilder von behörnten Kühen und alten, schlossähnlichen Gebäuden.

Bilder aus einer anderen Welt, Bilder, die man sonst nie zu sehen bekommt, nie, Bilder auf die man gewöhnlich 1000 Leben warten muss, Bilder aus dem ewig jungen Garten Eden, Bilder eines in sich verspielt, hell strahlenden Kindes aus Natur, Weib und ewiger Liebkosung.

In einem Lichtbild zeigte sich das junge Weib an einem Wasserlauf nackt auf einem Stein stehend, unverstellt, ganz und gar ohne Pose, ein tiefer Atemzug der Schöpfung.

Auf einem anderen Foto, gibt sich der junge Stier bacchantisch verspielt, zärtlich und stark, so wie es von Anbeginn in der Menschwerdung vorgesehen ist.

Die wilde Natur in ihrem schönsten Kleid wie auch die alten Gebäude mit ihrer Geste des historischen Verfalls von Epochen geben sich heiter und umranken das Lichtspiel königlich.

Mitten in diesem Reigen fiel jäh ein goldener Regen von leise flirrender Erinnerung herab, Pyritstaub aus den Anfängen der Erddrehung, eine physische Erinnerung in den Zellen des allgemeinen Körpers an den Ursprung des Daseins.

Blattvergoldet saß ich wie ein schöner Bilderrahmen an dem Tisch und war zur lebendigen Figur einer märchenhaften Reise geworden. Das Bier schmeckte mir und sogleich bestellte ich bei Felix ein zweites. Dazu legte er mir ein Buch als Zugabe auf den Tisch.

Es war ein Buch von mehreren Autoren angefertigt. Seine derzeitige Muse hat sich mit einer Erzählung darin verlustiert.

Ich las das Buch quer und kam auf den letzten Seiten zu den Texten einer polnischen Lyrikerin. In ihren Worten und so wie sie die Buchstaben auf den Seiten aufstellte erkannte ich eine gewisse Art der Anlehnung an den kosmischen Hintergrund, eine schiefe Ebene, eine geschwungene vertikale Linie von Hingabe an das große Ereignis, eine Begeisterung der blanken Materie im Sinne von „alles Liebe“, ganz so wie ich es zuvor in einem Lichtbild des großen, schwarzen Albums erlebte hatte.

Das Bild zeigte einen Raum, vielleicht ist es der Raum eines alten zerfallenen Schlosses, oder es kann auch ein verlassener Kuhstall gewesen sein, ein Raum in dem vier junge Menschen sich gerade mit ihren Habseligkeiten einrichten wollen, um im Übergang von der Nacht zum nächsten Tag zu bleiben.

Jeder bereitet sein Lager, jeder ist ganz in seinem eigenen Aufgang. Einer von ihnen kriecht mit dem Rücken zu mir auf allen Vieren, um seinen Schlafsack auszubreiten. Gegenüber an der Stirnseite lehnt eine Leiter, die zu einem geschlossenen Fenster hoch reicht.

Wenn ich das Besondere des Bildes beschreiben sollte, dann ist es das Licht. Es fällt, ja wirft sich geradezu herrlich durch den Raum, strömt wie ein durchscheinend funkelnder Fluss dahin, passiert alle Körper und Dinge und lässt sie geheimnisvoll schimmern..

Wundersam, alle Unterschiede sind verschwunden, obwohl doch jedes seine Form behält, der Schlafsack, die Räder, der Fußboden, die Leiter, das Stroh, der Mensch, das Fenster, alle sind gleichmäßig von diesem fallenden Licht durchdrungen und alle lächeln, alle.

Mit dem äußeren Anschein des Fotos tauchte unvermutet vor mir ein Geheimnis auf und mir schien, dass sich plötzlich in mir etwas entschlüsseln wollte, was ich seit Äonen nicht mehr erinnern konnte.

Materie ist ein Ereignis, ein lebendig, strahlendes Ereignis, eine bewusste Sensation.

Merkwürdig, mir war plötzlich so seltsam schwindelig, jegliche Lebensversicherung des messenden Verstandes schien mir abhanden gekommen, jeglicher Schleier kluger Unterscheidung von mir genommen, aufgehoben, so wie alle sieben Schleier der Salome.

Es war gleichzeitig bodenlos bestürzend wie himmelhoch berauschend erstmals unmittelbar tief in mir sehen zu können, wie der goldene Staub, wie der Lichtsatz von Bildern jede meiner Billionen Zellen des Körpers passierte, ja, im Grunde sahen sie mich an.

Ich blätterte mich weiter durch das Buch der Autoren und sah, dass die Texte von studierten Autoren nicht ausreichend versorgt waren mit diesem physischen Lichtsatz aus dem großen, schwarzen Fotoalbum.

Ganz so, als wenn die akademischen Häuser seit Generationen ignorant die falschen Belichtungszeiten in der Syntax lehren würden.

Völlig entblößt fragte ich mich beim Lesen all der akademischen Textzeilen, was uns die Prosa des Alltags eigentlich mit dem Wort „Schwanz“ und „Möse“ und „Mach sie mir eng“ mitteilen will.

Von Felix borgte ich mir einen Kugelschreiber und schrieb auf die letzte Seite

„Poesie ist Ursprung.
Universum nur der Knall“

Dann brachte mir Felix ein drittes Weizenbier.

Ich protestierte nicht und trank es brav.
Seit vielen Jahren hatte ich große Schwierigkeiten mich zu betrinken. Es gelingt mir einfach nicht, weder mit Wein noch mit Bier, schon gar nicht mit Schnaps. Überwiegend war ich in den letzten Jahren darauf bedacht einen klaren Kopf zu behalten. Nach der Durchsicht des großen Albums mache ich mir ernsthaft Gedanken darüber, ob das möglicherweise ein Fehler war.

Zwischendurch steckte mir Felix, der an diesem Vormittag einen sehr strebsamen Eindruck auf mich machte, eine auf einem Bestellzettel geschriebene Einladung zu einer Lesung am kommenden Donnerstag im „Wohl“ auf dem Kiez zu. Seine Muse, so wie er sagte, hat dort eine Lesung. Die Mutter der Muse hat sich auch angekündigt. Er erzählte mir mit seiner weltberühmten Geste welch bedeutenden Persönlichkeiten sich angesagt hätten. Ich fragte ihn, ob auch unbedeutende kommen könnten.

Noch bevor Felix mir ein Viertes hinstellen konnte, machte ich mich aus dem Staub. Am Museumshafen setzte ich mich bei brütender Hitze ins Auto und raste von meiner Bilderreise völlig trunken davon.

Kurz hinter der Ausfahrt wäre ich beinahe frontal auf ein Coupe aufgefahren, wenn mich nicht ein gewisser radioaktiver Zerfall aus dem großen, schwarzen Album blitzartig davor bewahrt hätte. Irgendwas riss den Wagen affenartig herum und so fuhr ich um Haaresbreite an dem linken Kotflügel vorbei. Mit einem wahrhaft flüchtigen Blick an das himmlische Wagendach bedankte ich mich. Dann ging es völlig entrückt und auf verbotenen Wegen ins Freie. 


 ©   by  J. G:

Dienstag, 8. April 2008

me we

Nach seiner Karriere als Boxer wurde Muhammad Ali zu einem Vortrag nach Harvard eingeladen. Am Ende seines Vortrages rief im ein Zuhörer aus dem Auditorium zu: „Ali, give us a poem!“ Er antwortete so schnell, wie er im Boxring zustach: „me we!“

Das kürzeste Poem der Welt.

Warum ist das so bedeutsam, was der Boxer an diesem Tag in den Brunnen der intellektuellen Elite Amerikas warf?

Der Philosoph Ernst Bloch schrieb zu diesem Entwicklungsgang in seiner Tübinger Einleitung in die Philosophie:

„Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“

Das Personalpronomen, das kleine Wörtchen „Wir“, hat eine exponierte Stellung im mentalen Werdegang eines wie der vielen „Ichs“.

Nach der kosmischen, der chemischen und der biologischen Evolution streckt die Spezies ihre kleine Nase erstmals seit gut, na, sind wir großzügig, seit einer Million Jahre in die nächste Etappe, der mentalen Entwicklung von Leben.

Wir, die Spezies Sapiens, sind sozusagen die ersten Zweibeiner, die herausgehoben aus der biologischen Evolution an dem mentalen Vorgang einer Individualisierung des Lebens teilnehmen.

Das Wir, der gesamte Vorgang und das Ereignisfeld von Leben, beleuchtet Sapiens mit der neu gewonnen mentalen Zentralperspektive der Evolution, mit vom übrigen Ganzen abgesonderten „Ich“. Mit dieser kleinen Lampe nun ist er seit tausenden von Jahren unterwegs und sucht in seinen kleinen und großen Gedankengängen nach einem bewussten Aufgang zu sich selbst und zu allen anderen.
Den, wie es sich herausstellte, ist diese Spezies als Einzelwesen nicht überlebensfähig und innerlich angewiesen das "Ganze" in sein kleines Ich mit Gedanken und Taten einzubinden.

Das Lebendige erscheint so als eine Konstante, ein hintergründiges, aber doch immer präsentes WIR, es scheint das Gewebe zu sein, was Leben überhaupt erst bewirkt. Das Wir als eine Wirklichkeit, als ein Zusammenwirken von vielen Elementen, Faktoren und Spezialisten, die die Spezies Sapiens, die Mensch werden will, mit dem kleinen Lämpchen Gedanken-Ich ausleuchtet.

Auch heute noch gibt es lokale Kulturen in der globalen Gemeinschaft, die extrem damit beschäftigt sind, Wir und Ich weiterhin in einen waffenstarrenden Wettstreit der Ideologien antreten zu lassen. Nicht nur Wirtschaftstheorien und Staatstheorien sind darunter zu finden, sondern auch Religionen binden die schöpferischen Kräfte in diese Polarität ideologisch ein.

So stehen sich Einheit und Vielfalt des Lebens in wirtschaftlichen, staatlichen und religiösen Systemen, gebunden in Ideologien und Religionen, als sich bekämpfende und ausschließende Gegensätze gegenüber.

Wieder einmal ist es die Kunst, die Dichter, die Musiker, die Maler, die Nomaden und Sternendeuter, die Auswanderer, die mit ihrem Ruf nach Freiheit Anstoß geben.

So beginnt die Verfassung der amerikanischen Nation mit einem satten „WE“

„Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“

Wie lautet die Überschrift bei dem Volk der Dichter, Denker und Musiker?

Über dem Reichstag in Berlin steht „Dem deutschen Volke“.

Wer oder was ist das?

In der langen Reihe der Versuche, eine nationale Identität für Deutschland zu formulieren, findet man „Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden“, stößt man im schulischen Gemäuer auf „Wir haben wohl nicht aufgepasst, was?“ und schließlich endet die heroische Tat der Verschmelzung von Wir und Ich immer wieder in der Banalität des Bösen: „Führer befiel – Wir folgen“.

Wie also ist in der Epoche einer sich globalisierenden Welt das "WIR"mit einem "Ich-Leben" zu verbinden?

Wir sind gefragt!
Was ist also Wir?
Ich frage mich.
~
.
J.G:

Montag, 7. April 2008

Donnerstag, 3. April 2008

ach

was für ein Glück ich doch wieder habe



sozusagen aus erster Hand
schon gleich am ersten Abend
eine Welturaufführung
das Innenleben eines 6-Zylinders
schon in der zweiten Stunde wage ich es
ich frage frech nach dem Vergaser
in der dritten bin ich bereits im zweiten Lehrjahr
dort hebt mich unerwartet und exzellent
die oben liegende Nockenwelle in die Gluthitze
eines finnischen Tangos

In der vierten Stunde erfahre ich im langsamen Walz
das offene Geheimnis der Sphinx
Wie halte ich eine Gegenmutter

In den Pausen sinke ich an der Cola Bar
tief in ein verschmiertes Kontinuum
in einen Haufen roher Sternenmasse
da staune ich weit und breit
hinunter zur Hebebühne des kosmischen Geschehens
mitten hinein in das göttliche Vakuum
dort
wo das versammelte Materiallager
unsichtbar auf seine Endmontage wartet
.
~
  ©   by  J. G::

Mittwoch, 2. April 2008

verbundelement


Höre
Höre
Höre selbst
Höre Radio
Innenaußen
Hohes Tief
Weit da draußen
flimmern
megasausen
Höre
Höre
Höre selbst
Innen außen
Hohes Tief
allesamt
Wir hören
das und das und
radioaktiv
Überall nur Strahlen
Wörter Töne
Echtverbund
hören alles
weit und rund
Hören Null und eins
In einem Kreis
Hören
All das
Meins und Deins
Kosmisch munter
Rauf und runter
ohne Glauben
ohne Wissen
Endlich
Das Unendlich
Ohne Anfang
Und kein Ende
Alles Liebe
In den Kissen

Schon früh am Morgen
rosa Hemd
Welle Teilchen
Wirks und Sein
Alles Werden
Blanker Schein
Alles Liebe
Korrelation
Interpunktion
Interferenz
Differenz
Früh am Morgen
goldenes Hemd
Strahlendes Verbundelement
.
~
J.G:

kommen sie

madame
es ist soweit
gehen wir
dort
das tor zur sonne
o madame
wie unendlich schön
der körper
seele
schnell
umarmen sie mich
.
~
J.G:

so spät noch

Monsieur,  kommen sie herein mein Atelier steht ihnen offen ach ja das große Bild bin noch nicht ganz fertig ihren Brief habe ich gelesen si...