Freitag, 29. September 2023

Entbindung



"An den Küchentischen und in den Cafés dieser Welt hat der Mensch

damit begonnen das physische Leben bewusst in sich passieren zu lassen.


Das Ende der Schreckensherrschaft, das unbewusste Betriebssystems des Sapiens, ist damit eingeläutet.“ 


Johan van der Leeuwen

Samstag, 23. September 2023

alte Arie


in der feuerpause


hinter den herzkammern maschinen stop
fluten
der maschinist

mit seinen ölverschmierten händen
ändert den kurs

unten am kai

vom winken ganz erschöpft
sie

was für ein Mund

dann
leinen los

die halbe überfahrt noch
dieses zarte süße kommen

o du mein alter passagierdampfer
bist blind geschlagen in deinem lack
auf deinem vordeck
diesem schrägen irgendwas
auf diesem dahinliebenden blauen rand
wird er endlich hören können was sie sagen
und was sie singen
was da sein will
im großen und im ganzen
auf breiten und längen

auf hoher See
funkt er die aktuelle position der schiffspassage
für die peilung
hat er funkraum und stille
heimat allein genügt hier nicht
stille also

stillstand
stillstand, so sagen die treuhänder der blanken münze
stillstand, das sei der Tod

der einzeller auf der funkbrücke
ritzt sich auf der überfahrt durch die meeresenge
als beweis vor und nach
all den geheimdiensten und gerechten
einen notenschlüssel an die zersiebte bordwand
und schreibt ein lied
kratz es durch die farbe des rostigen lebens an das nackte eisen
vorbei an den querschlägern und granatsplitter
hin zur liebeskante

an aus
seit millionen von jahren
fressen und gefressen werden

im noblen speisesaal des dampfers
überleben sie reichlich
versicherungen der art
die ewige wiederholungen
ein serienerfolg
ein beutepanzer aus chitin
die s-klasse

lebenslänglich arbeit

sterblicher gewinn

in den privaten kabinen

die andacht
das denkmal: „ich ich hab´s geschafft“

fressen und gefressen werden
an - aus

meer des lebens
begradigt begraben
leichtmatrosen unter deck

weiter geht´s mit dem gekritzel des maschinisten
oben rechts
unter dem kohlestrich ein dünnes auf und ab
kaum zu entziffern
eine wirtschaftsbilanz der besonderen art
leben
das vom tode lebt
24 stunden heckenschütze
an - aus

erinnere
erst auf die beine, dann musst du warten
bestimmt kommt noch einer aus dem versteck da drüben
der will bestimmt helfen
den schieß in den bauch
warte noch, warte
vielleicht kommt noch ein dritter
dann hast du sie alle drei
dann kassier ab

funke
tageskurs gefallen
börse ohne wert
mit offizieller genehmigung

der schusswechsel
die generäle ordern nachschub
schiffseigner fordern mehr von dieser fracht

an - aus
fressen und gefressen werden
dreikommafünfmilliarden jahre

alles hängt mit allem zusammen

an – aus

dann
in der früh
noch vor der dämmerung
die letzte funkbrücke
er stöpselt herum
verbindet den rest der welt
überträgt alles was ihm in die quere kommt
sendet auf die brücke, in die suiten und kabinen
hinunter zum maschinisten
rauf zum kapitän

guten morgen sarajewo kosovo
die news
roter schnee vor deinem haus
europa
in deinem keller der moslem
erschossen
erschlagen der serbe auf deiner treppe
vor deinem dorf der kroate
gelyncht
die da
ja, die zwei mit der plastiktüte in der hand und dem hungergesicht
wer erschlägt die

dazwischen noch
kurz vor sendeschluss 

die einschaltquote aus der heimat
65 millionen tote
menschen
da
erschlag du sie
die versauen uns hier alles
stehlen uns das wasser und rauben uns den zuckergott

abschalten
brüllt der maschinist
abschalten
maschinen stop
kurs ändern
einen anderen kurs für dieses eisen

maschinen stop
fluten

steuerbord schlagseite
schiff sinkt rasch
sie schreien
sie kreischen

wo ist der funker

besatzung löst sich auf
er funkt noch den rest striche und zahlen

geht dann auf position null

für mannschaft, mörder und passagier
kiemenatmung und beiboote

hinter der kalten wasserwand dann
tiefoben
atmet er grundlose kuhle
honigbrunnen unter dem riff
treibt dahin
frisst keinen mehr
in den reisfeldern
vor den toren pretorias
erschlägt keinen mehr
in den straßen von new york
vor der heimatküste
so
wie es in der alten haut schon zu tausenden geschehen ist
im indianerland
erschlagen erst die kinder
dann die frau und dann erschlagen sie mich
ja mich
den kleinen funker aus shanghai

maschinen stop
fluten
an - aus
an
aus
aus

J. G:

1992

Freitag, 22. September 2023

Ein Überhaupt



o goldenes meer

du rausch im hellen

umarme mich

küsse mich

flute meine zellen

 

Mit "radioaktiver Poesie" beginnt was. 

 

Eine andere Lesart von Materie.

 

„Mit dem Kopf allein geht es nicht mehr“

 

Die Wahrnehmung, die passiert, ist die in den Zellen.

100 Billionen.

Allein in einem Körper.

Sie alle haben eine lange Reise hinter sich.

4 Milliarden Jahre Fortbildung.

Alles noch ohne Kopf.

Hochintelligent.

So viel Welt.

In Ursprung und Gegenwart.

Sie alle nehmen Leben wahr in diesem Haus.

Lassen alles passieren.

Individuell.

In Zusammenhängen.

Lebensbewusst.

 

Da wäre Mensch heutzutage mit seinem noch jungen, neuronalen Interpreten doch einfältig und dumm, wenn er all diese hellen Häupter unbeachtet ließe in seiner Wahl Leben mit Begeisterung in einem Miteinander kreativ zu gestalten.


J. G: 

früh schon







alles ist weit größer, heller, lebendiger und bewusster

als man am schwarzen Ort des grammatischen Geschehens

überhaupt ahnt"


J. G: 


Handbuch



was die frage

des bewusstseins 
in dem allgemeinen vorgang 
von materie und leben betrifft
ist das phänomen der hintergrundstrahlung
in und um die zellmaterie herum
nicht mehr allein physisch
zu lesen ist


Johan van der Leeuwen

Donnerstag, 21. September 2023

kommen sie


madame 

hier

in dieser schönen nacht

legen wir uns in die welt

richten uns hellauf

zu grunde

hören sie

wohltuend blind

der klang

mondbeschienen

die wiege

neigt die stimme

sich zart

in ihr

über den rand der welt

fällt

gleichsam einer kirschblüte 

schamlos nieder

madame

schnell

umarmen sie mich

so sind wir 

in allem

hell gebeugt

im fallen
selbst
das wunder


J. G: 

ἀποκάλυψις






                        materie  wird   :  ist.  =  bewusst



J. G: 

Mittwoch, 13. September 2023

Gut

Madame

Kommen sie

Hier

Sehen sie doch

Ameisen eilen

Über ein geschlossenes buch

Und dort

Die ureigene Sicht

Das verschmierte Blatt

Augenzeuge staubigen Bodens


© J. G:  

Donnerstag, 7. September 2023

am Wegesrand

„Nach all den Ausflügen ins Blaue und nach 100ten Seiten lege ich nach einer langen Reise das Wort "Romantik" ermüdet beiseite. Nach dem treuen Wiegeschritt in den deutschen Idealismus und all seinen Singvögeln, hört es sich nach all dem verhallenden Geschützdonner des letzten Jahrhunderts ernüchtert am Gabentisch des gierig nach Neuland fabulierenden Geistes an.

 

So lege ich nun den hoffnungsschimmernden Mantel dieser Rhetorik ab. 


Auf der Reise in die liebenden Felder der Worte fühlte sich die irdene Schwere manchmal aufgehoben an, erhoffte das ärmliche Zwielicht der Schwefeltiefe, handnah am Goldgrund, endlich Erlösung. 


Doch beide Greifvögel des Geistes, das Apollinische und das Dionysische mitsamt ihren lobsingenden Wandervögeln und die in ihren Tornistern gehüteten Büchlein mit den graviden Lichtgebeten, finden sich weltöffentlich im 20. Jahrhundert restlos ausgeraubt auf dem Zauberberg der Materialschlachten, der Jugendsünden, der Flüchtlingstrecks und Leichenfelder wieder.

 

Nun, denn, weit nach 150 Jahren der Aufdeckung, Beobachtung, Erkundung, Teilnahme, Kartierung und Systematisierung des im engen "Kästchen" des Kopfes (C.G. Jung) eingepferchten Geistes, lechzt der in politischer Kasteiung gehaltene Körper wieder einmal nach dem "Endlich" der Teilnahme, nach dem endlich "ins Feld" ziehen, den "Verzückungsspitzen" eines Zarathustras, nach dem "Heil mir, das ich Ergriffen sehe"(Thomas Mann), dem "Geschoß" ins Leben, nach den "Stahlgewittern", nach der einzigen Möglichkeit zur "Höherentwicklung von Volk, Reich und Menschheit", nach dem ewigen „Gottesstaat“ , wieder mal nach der Nation, dem einen "Mann", der zur letzten Schlacht ruft.


Kein Mensch lässt sich mehr von dieser Art Romantik einberufen.


Er: „Wir brauchen eine große Seele, die hervortritt, damit der ganze Wahnsinn aufhört.“

Sie: „Eine Seele war gestern. Heute sind es Milliarden.“ 


Das wissen alle an den Küchentischen und in den Cafés der Welt. 


Johan van der Leeuwen

so spät noch

Monsieur,  kommen sie herein mein Atelier steht ihnen offen ach ja das große Bild bin noch nicht ganz fertig ihren Brief habe ich gelesen si...