Montag, 28. Februar 2011

dem kind die welt

"Manchmal wurde von mir auch verlangt, dass ich Gegenstände benenne, die mir die Verwandten direkt vor die Augen hielten. Dabei gingen meine Familie und Anverwandten wohl von der Annahme aus, dass, sobald man dem Kinde die Welt vor den Kopf hält, es auch erkennen kann, um was es sich hier handelt. Ich zumindest kann mich an einen Vorfall erinnern, dass meine kleine Schwester Marie, nachdem sie ein Bild gemalt hatte, es unserer Großmutter Sophie zeigte. Irgendwie kam dieses Bild in mein Kinderbett. Vielleicht weil unsere Großmutter schon alt war, leise zitterte und sie sich wie ein Astronaut nur noch mit fremder Hilfe im Sitzen anziehen konnte. 

Doch eigentlich sagt man ja alten Menschen nach, das, wenn sie alt werden, sie wieder ganz jung werden, so wie Kinder. Na ja, jedenfalls legte sie dieses Bild in mein Bettchen. Sie werden es jetzt ahnen, ja, sie legte es irgendwie ab, man sagt auch verwirrt beiseite. Dabei hatte ich wirklich großes Glück. Denn durch diese junge Verwirrtheit meiner Großmutter Sophie stand mir schon früh eine Sternstunde ins Haus. Sie legte dieses Bild zu meinen Füssen. Eine halbe Ewigkeit konnte ich mir mit meinen nackten Füßchen dieses Bild betrachten. Es war vormittags, ich war gefüttert und durfte danach bei offenem Fenster immer eine lange Zeit bis zur Mittagsstunde ruhen. Nie wäre ich in diesen Tagen meines Daseins auf die Ideen gekommen, das Bild mit den Händen zu greifen und es mir vor den Kopf zu halten. Nie. Niemals. Das kam erst viel später. Ach ja, meine Schwester kam nach Stunden heulend in das Kinderzimmer. Den Grund ihrer Tränen habe ich nie herausbekommen.

Als sie schließlich an mein Bettchen trat und über die Wiegenkante schaute, erfüllte sie eine Art übernatürliches Lächeln. Zu meiner Verwunderung war sie nicht sonderlich erschreckt, sah sie doch ihr kleines Bild zu meinen Füßen, ich hatte es tausendfach mit meinen beiden Füßchen gefaltet und geknittert. Sie schaute mich verwundert, ja eigentlich selig an, nahm das Bild und lief damit hüpfend aus dem Zimmer. Sie können es mir glauben, jede Zelle meines Körpers erinnert das seidene Rascheln des Blattes, den schimmernden Zerfall des liebenden Kolorits, so wie am ersten Tag. Die Physik meines Lebens erinnert noch heute verzückt die Funken, mit denen ich in einem brillanten Feuerwerk aus tausend Falten und abertausenden Knicks der Zeichnung durch meine Füßchen weit über mich hinaus nach oben hin weg sprang." 

   ©   by  J. G: aus: Licht den Tagen...

An die kaiserlichen Provinzen

Das weite Gehör
erhebt
aus dem Sitz der Wahrheit
das helle Wort

Hört und folgt
Unteilbar dividiert
Dem Selbst in allen Dingen

J.G:

Dienstag, 22. Februar 2011

wem

ach
der welt willst du schreiben
wie unbedeutend

HH.

alles da

Er: „Wir brauchen eine große Seele, die hervortritt, damit der ganze Wahnsinn aufhört.“

Sie: „Eine Seele war es gestern, heute sind es Millionen.“

J.G:

handschriftlich

Ein ganzes Sammelsurium von Kuriositäten und Sehenswürdigkeiten, Schicksalsschlägen und Wunder liegt wie ein ungepflügter Acker vor mir. Sehe ich mir die braune Erde genau an, so liegt die Krume mal freiwillig umarmt, mal schulisch verordnet, mal in Liebe hingeworfen auf dem Weltenkörper.

Alles auf diesem Zettel ist vermerkt, vom Anblick des dahin treibenden Planeten im All, dem Wunsch dort zu leben, von der Flut der Heringe, dem Einnisten in das Mutterkorn, bis zum ersten und letzten Atemzug Glückseligkeit.

Alles ist verzeichnet.

Von einem „½ Liter Milch, 1 Pf. Kaffee, Salat, Olivenöl, Blumen, Brötchen, Fisch, Wein“, über „Lisa hat Keuchhusten, bin beim Arzt“, bis zu „Freitag, den 16.9. Theater mit Luise, Sophie, Karl“, jede noch so kleinste müde oder helle Regung nach unten zur Grabsruh und nach oben über alles hinweg in die sieben Himmel des Lichts. Jeder noch so flüchtige Gedanke, jedes noch so zarte Gefühl, jede noch so schöne Empfindung, alles ist auf diesem kleinen Zettel vermerkt.

Eine herrliche Fahrkarte  

©   by  J. G:

schlage

ein loch
in dein nirwana
sieh
dort unten
die helle küste
alles  bewusst
millionen jahre alt

M. McIron

lineal

im denken
hinkst du den neuigkeiten
des lebens
ständig hinterher

M. McIron

orient

nicht einer
lässt sich mehr überzeugen

jeder am nil
schaut jetzt selbst nach
an seinem fluss mit all den anderen

J.G:

nichts ist

wie du denkst
alles sein werden
beides

J.G:

Donnerstag, 17. Februar 2011

was elf

Ergebnisoffen ist die Evolution nicht.
Eindeutig eine Richtung.
Nach überall.
Alles gleichzeitig.
Das jüngste Gericht in der Entwicklung bewusster Lebensformen.
Ein unauffindbares und doch in allem herrlich einwirkendes Urteil.
Ein erfülltes Nichtlokal vor jedem Beginn.

In der Entwicklung von Lebensformen
erwirkt das Urteil über Strahlung, Materie und Leben
ein buntes Zusammenspiel der Vielen,
ein heimwärts ins blanke Jetzt.

J.G:

mu

„Ich sage dir, das macht dich wach, richtig wach,
so wach warst du in deinen ganzen 1.000 Leben nicht.
Da ist das Katastrophenhollywood ein Kinderfilm, das Stahlgewitter der Jüngergemeinde Spitzwegprosa, die Prophezeiungen des Nostradamus ein Karl May Roman und die Offenbarungen des Johannes Lagerfeuergeschichten. 

Johan van der Leeuwen

Einschlag








„Bei dem nötigen Abriss von Katheder und Kanzel, der hoffnungsvollen Entwertung von des alten Alphabets, der bittersüßen Zerschlagung der Familien schon vor dem Frühstück, dem ruinösen Abgesang der Bildungsnation der Dichter und Denker sowie der börsennotierten Kriminalitätsrate auf allen Glasetagen, da kann man beileibe nicht sagen, die beteiligten Geldfresser mit ihren netten Neonlampen übernähmen keine politische Verantwortung."

Johan van der Leeuwen

Bewilligung

An Johan van der Leeuwen

 „Nach deiner Odyssee auf den Weltmeeren hast du im Palast die Schätze der Welt vor deinem König dargebracht. Nach drei Tagen der Besinnung vor den Toren des Palastes hast du nichts mehr begehrt als in meinen Diensten zustehen. Das Motiv deines Entschlusses hast du nicht in diesen drei Tagen vor den Toren gefunden. Erst im Palast, als du vor dem Kämmerer standest, hast du deinen inneren Grund entdeckt. Als der Damastvorhang am offenen Fenster sich hob und du die Gärten in ihrer ganzen Pracht sahst, war dein Entschluss gefasst. Du wolltest nicht nur mir dienen, du wolltest in das Paradies, in die Gärten des Palastes. Doch zu dieser Stunde konnte ich deinem Willen weder nachgeben, noch konnte ich in diesem Augenblick gütig zu dir sein. Mit einem strengen Ton der Bloßstellung musste ich dich und deinen Willen mir zu dienen mit Schimpf und Schande aus dem Palast jagen. Deine Reaktion glich damals dem Glanz von Perlmutt. Enttäuscht und um deinen Lohn betrogen suchtest du dir eine Wohnstatt in der verschlossenen Schale der Einöde. Tief verletzt zogst du dich damals von allem weltlichen Treiben zurück. Einmal nur gewährte ich dir in diesen langen Jahren Einlass zum königlichen Hofe. Es war eine Bitte, die die Akademie damals an mich richtete. 

Das Orakel, das in der Nähe eines Fischerdorfes gefunden wurde, musste gedeutet werden. Nach dem der Hof das geschätzte Auditorium der akademischen Häupter aufgerufen hatten, sich dieser mündlichen Überlieferung zu widmen, und keiner der wissenden Vorsteher des Reiches eine plausible Deutung zu Stande brachte, erinnerte ich mich an die Begegnung mit dir und an das unsrige Liegen auf der Kuhweide. Ich schlug der Akademie vor dir ein Schreiben zuzustellen, mit der Bitte um Deutung des Orakels. Dem bist du an einem Tag an der Akademie nachgekommen. Gleich nach dem Vortrag vor der königlichen Akademie bist du wieder zurück in die Abgeschiedenheit deiner Klause am Meer. Dein Wille war es, diesen hast du zu Beginn der Deutung sogleich an mich herangetragen, dass du nach deinem Vortrag wünschest erneut von dem Amt entbunden zu werden. Einer Anstellung stand damals wahrlich nichts im Wege. Mit diesem Vortrag hattest du dich bei der Akademie für ein Amt am Hofe empfohlen. Dein Vortrag besaß Brillanz und mit ihm überzeugtest du den überwiegenden Teil der Mitglieder der Akademie. Doch dein Wille war es damals zurück in die Einöde zu gehen, so wie es heute dein Wille ist, um ein Amt am königlichen Hofe zu bitten. Der Schock, dich nach deiner Odyssee nicht in meine Dienste zu stellen, obwohl du mir alle Schätze der Reise von den Meeren, Küsten und Ländern dieser Welt dargereicht hattest, dich dann ferner noch mit strengem Ton gebieterisch aus dem Palast zu jagen, dieser Schock saß all die Jahre tief und hinterließ in dir das Gefühl eine Muschel ohne Perle zu sein. Diese Abweisung und Ablehnung deines Selbst führte bei dir zur geistigen Not und zu dem körperlichen Verfall deiner persönlichen Erwartungen. Schaue ich dir heute in die Augen, Johan van der Loewen, dann kann ich selbst den poetischen Glanz des Perlmutts nicht mehr erkennen. Du hast dich schon auf den Tod vorbereitet, nicht wahr? Wie lange hast du in den Jahren der Einsamkeit fabuliert und gebetet „Herr, dein Wille geschehe“. Tausendmal, Zehntausendmahl, Hunderttausendmahl? Nein, das ist zuwenig. Deine Anrufungen zu mir waren unzählig, so wie Sterne am Nachthimmel stehen. 

Nicht mehr nur allein in deinem Verstand sollte es dir einleuchten, du wolltest mehr. Auch in deinen 100 Billionen Zellen wolltest du, dass dieses Licht mit Fanfaren, Trompeten und Zimbeln triumphal Einzug hält, so wie es dir die sieben Himmel auf einer Fahrt nach Italien mit einem Meer aus Tränen geschenkt hatten. Der Strom der Liebe, dem ich jedem Bewohner meines Reiches zukommen lasse, ist ungeteilt. Liebe ist nicht aufgeteilt in „Wollen“ oder „Ungewollt“, in „Sein“ oder „Nichtsein“, das alles stammt nachgeordnet aus einem äußeren, dem Sprachgitter eines denkenden Ordnungsfeldes. In der Wildnis und Ruhe der Abgeschiedenheit hast du das Prinzip studiert und überwunden. Die Sprache, die du daraus erworben hast, befähigte dich damals die Deutung des Orakels in der Akademie vorzunehmen. Doch all das reicht nicht aus, um mir in allem nahe zu sein. Du wolltest mehr. Johan, jetzt bist du angekommen an der Luke zur Welt, an dem Dachfenster, das dir bislang trotz deiner Zauberkünste, deiner alchemistischen Poesie und deiner langjährigen Abgeschiedenheit von der Welt verschlossen geblieben ist. Jetzt, da du den Ausgang nach innen selbst gefunden hast, wirst du von der Helligkeit der neuen Welt, ihrem Glanz und ihrem Frieden nicht mehr selbstsüchtig geblendet. 

Denn es ist deine eigene Sonne, die du gesehen hast und die dir seit dieser Stunde strahlend hell geradewegs ins Gesicht scheint. Und da es jetzt dein Wille ist, deine Sonne, deine Herrlichkeit, die du in dir mit dem kleinen Schraubenschlüssel deines menschlichen Geistes entdeckt hast, verweilst du auch nicht mehr schläfrig in einer Ergötzung, versinkst nicht in den tödlichen Schlaf der Selbstgenügsamkeit eines gefundenen Paradieses, lässt dich nicht länger verführen vom Gesang und Geschmeide der Circen und gleichwohl lässt sich dein Herz auch nicht mehr siegreich blenden von der feurigen Hitze der umher schleichenden Mordbanden, die in den Quotentürmen nur darauf warten wie Ungeheuer den ausgedehnten Reichtum deiner stillen Einsicht verschlingen zu können. Dafür bist du nicht geboren. Johan van der Loewen, du wirst erwachen, so wie es geschrieben steht, bei Sonnenaufgang, so klar und rein wie Tau auf den Blättern der Gräser. Dafür bist du wiedergeboren. Ein kleines Lächeln kann ich schon in deinem Gesicht erkennen. Doch Geduld, es braucht noch einige Monate bis dieser Morgen in dir erwacht. Die Aussicht auf dein Leben reicht jetzt so weit, dass zu erkennen ist, dass du dich entschlossen hattest zur Welt zu kommen, als du in deinen Eltern den Duft der Eintracht, der Liebe entdeckt hattest. Das war deine Sonne, dein goldenes Flussbett und das ist es noch heute. 

 Nach vor deinem Selbstmord hattest du dir geschworen, dass du in deinem nächsten Leben nur noch das Kind von Eltern sein wolltest, das Kind von zwei Menschen, die sich wahrhaft lieben. Du wolltest einkehren in das goldene Pantheon der Harmonie, das weit über das hinfällige Maß der biologischen Fortpflanzung hinaus weist. Deine Wahl sollte erfüllt werden, denn es ist im Grunde auch mein Wille, dass die Menschen in dem Meer der Liebe, wo immer es mit seinen Wellen an die Küsste schlägt, sich umarmen, zu sich selbst kommen und die Welt darin aufheben. Doch plötzlich, nachdem du erneut inkarniert warst, wollten dich deine Eltern nicht mehr. Plötzlich warst du „unerwünscht“. Der Schatten des Todes legte sich über dich, noch bevor du überhaupt das Licht der Welt erblicktest. Du dachtest, du könntest den Selbstmord deines vergangenen Lebens vor deinen Eltern verbergen. Damals hattest du noch keinen Schimmer von dem inneren Glanz, der himmlischen Empfänglichkeit, der kosmischen Ausdehnung und der irdenen Vergebung, die das Wort Liebe wie helle Flugsamen in sich birgt. Was für ein Schock für dich. Zuerst das Licht des Willkommens. Dann das rabenschwarze Nein und dann doch der Akt des Gebärens. Ein Schock. Ein Nervenschock. Eine bodenlose Angst, die dich bis heute in deinen Zellen kurzschließt und erzittern lässt. Körpereigenen Viren erinnern dich auf deinen Nervenbahnen von Zeit zu Zeit immer wieder an diesen Vorgang und fordern dich mahnend auf, die Chimäre dieser Urangst zu überwinden. Geduldig rufen sie dich mit ihrer entzündlichen Botschaft in den Ursprung deiner Absicht, derentwillen du gekommen bist. In der Abgeschiedenheit mit dem Blick auf das weite Meer hast du ihre ganz eigene virale Sprache studieren können. 

Du kannst ihnen ruhig ab und zu danken für ihre geheimdienstliche Mission. Im Palast, nach deiner Odyssee, habe ich dir einen ähnlichen Schock zu Teil werden lassen. Homöopathisch hoch dosiert und heilsam, aber nicht tödlich. Dein ganzes Leben, bis zu deinen ersten Schritten heute Morgen im Palast, hast du dich und dein Leben als „ungewollt“ verstanden. Das ist der Schatten auf deiner Seele, das ist der Irrtum in deinem Verstand und das ist der Knoten in deinem Organismus, den du bis zu dieser Stunde nicht aufbekamst. Deshalb bist du hier. Das war dein Gram die ganzen Jahre mit dir selbst, das war deine Einöde, dein Land ohne Trost, deine Muschel ohne Perle, in die du dich vergraben hattest. Du weißt, deine Wahl ist auch meine Wahl, und so solltest du in dieser Einöde zur Einsicht kommen oder sterben. Ich sehe du bist da. Du hast die Einsicht gewählt. Die großen Wasser strömen unablässig aus den sieben Himmeln und beleben mit ihrem Licht meine Gärten. Der, der im Inneren das Selbst erkennt, das Göttliche Feuer, den lichten Strom schöpferischen Willens, der ungeteilt in allem aufwärts fließt, der ist mir in allen Teilen nahe. Wenn ich dir damals nachgegeben hätte, dich berufen hätte, wäre es nur ein Auftrag gewesen, den du sicher wie alle Beamten am Hofe auch erfüllt hättest, natürlich mit kleinen Abzweigungen für das private Glück und Vermögen, so wie es alle tun. Doch es sollte dein eigener Weg, deine eigene Entscheidung sein, dich zum Leben zu bekennen. In deinem letzten Leben hattest du selbst für den Schatten, für das schwarze Denkmal in deinem Leben gesorgt. Es war deine eigene Wahl, dich für dein vorzeitiges Ableben, den Selbstmord zu entscheiden, obwohl dein Sohn dich von Angesicht zu Angesicht weinend angefleht hatte, es nicht zu tun. Jetzt weißt du, was es heißt, der Mensch ist frei. Deine Wahl ist auch meine Wahl. 

 Sich selbst das Leben zu nehmen ist ein leidiges Geschäft, das man im nächsten sauer ausbaden muss. Und alle anderen müssen es auch. Damit ist nicht zu Spaßen. In all den Jahren hast du versucht den Knoten in dir selbst mit deinen eigenen Händen aufzulösen, dein ganzer Organismus wurde an dieser Arbeit in den Bergwerken und Kathedralen des Verstandes wund und trostlos müde. Du wurdest zur literarischen Figur, damit begnügtest du dich auf dem vergoldeten Sterbebett deiner Buchstaben. Deine Person wurde unverträglich für Gemeinschaft, geschweige den für eine familiäre Beziehung. Kein einziges Mal, obwohl wir beide schon auf der Wiese lagen, hast du mich gebeten, dir zu helfen. Zuviel Stolz und zuviel Angst waren da im Spiel. Kein einziges Mal hattest du mich persönlich angesprochen. Bis heute morgen. Wir haben alles was wir brauchen, das waren damals deine Worte auf der Kuhweide. Doch du machtest all die Jahre nur in deinem Kopf davon Gebrauch. Das du dachtest, du seiest ungewollt, hat nicht nur einen Schatten auf dich gelegt, hat nicht nur deinen Geist auf die Größe deines Hirns billig herabgesetzt, hat nicht nur deinen Körper völlig austrocknen lassen, sondern hat dich langsam und unnachgiebig mit einer knöchernen Ignoranz umgeben. Heimlich, in deiner Herzkammer, hast du das mir angelastet, was die Sache für uns beide nicht einfacher machte. Wie soll ich dir helfen, wenn du mich mit der Moral und den Schuldzuweisungen einer geteilten Welt aus dem Spiel nimmst. Der Geburtskanal deiner Inkaration ist das einhellige Licht der Liebe, Johan. Sie ist dein Urgrund, das Selbstvertrauen nicht nur dieser Erde, sie ist die hohe Wahl des Himmels wie der Erde. Ihr hast du durch alle Stürme des Lebens zu vertrauen. Dieses herrliche Weib steuert in allem dein Lebensschiff. Der stille Zugang zu diesem Vertrauen ist die Hingabe, oder auch der Glaube. Den hast du bis heute morgen, als du barfuss den Palast betreten hattest, nie gehabt. Der Schock des „Ungewolltseins“ während der ersten 3 Monate deiner Wiedergeburt hat die Erinnerung an den Ursprung und lichten Strom des schöpferischen Willens fast bis zur Unkenntlichkeit ausgelöscht. Die traumatische Last dieses Schocks hat dich hinaus in den unendlichen Weltraum geschleudert und dort mutterseelenallein ausgesetzt. In der Zeit des Bedauerns deiner Tat warst du sieben Jahre der eisigen Kälte, der schwarzen Leere der Selbstvorwürfe ausgesetzt. Für einen Selbstmörder kein angenehmer Aufenthaltsort. In den ersten 15 Jahren deines jetzigen Lebens hattest du diese Isolationshaft verwandelt, das autistische Exil kehrtest du um in ein naives Spiel. Selbstvergessen warfst du die blaue Murmel in die irdische Bahn. All die Jahre deiner Kindheit verharrtest du einfältig in diesem kosmischen Spiel. 

 Bei einem Unfall auf einem Schulausflug ergab sich eine günstige Gelegenheit diesen Bann aufzuheben. Die fieltest damals einen Abhang herunter und erlittst mit einem stumpfen Schlag seitlich auf den Kopf eine schwere Gehirnerschütterung. Du erinnerst dich. Auf der Zugfahrt erbrachst du in der Toilette und dann später mehrmals im Haus deiner Eltern. In der Nacht dann bekamst du hohes Fieber und du begannst heftigst zu fantasieren. Deine leiblichen Eltern waren in großer Sorge und holten noch am Abend den Hausarzt. Dieser saß an deinem Bett und hielt dir die ganze Nacht über die Hand. Der Pulsschlag deines Herzens sank und verschwand im radioaktiven Flimmern der anbrechenden Nacht. In dieser hochfiebrigen Bestürzung riss sich deine noch junge Biografie wild um sich schlagend aus der limbischen Verankerung und für einen Augenblick nur löste sich die Lebensbindung deiner Atome auf. Für einen Atemzug sahst du dich erneut hinausgeschleudert in die Kälte der kosmischen Nacht. In diese heillose Wirklichkeit geschleudert, entdecktest du vom anderen Ende des Universums aus ein weißes Kinderbett, in dem du selbst fiebernd lagst. Doch das innere Herz hat einen Schöpfungswillen, das wusstest du nicht, bis heute morgen. Ihre Wahl ist auch meine Wahl. Und es wählte dich, Johan. Im Beistand deines Hausarztes und deiner Eltern und mit dem unendlichen Mitgefühl ihrer innersten Berufung, erblicktest du deine Seele, die hinter den schlagenden Flügeln sehend gefaltet ist. Die weichen Hände deines Hausarztes, die dich in dieser Nacht nicht losließen, brachten dich vom anderen Ende der Welt zurück nach Hause in das verschwitzte, weiße Kinderbett. Beim Eintritt in die Wiege der Wiedergeburt erkanntest du mit dem wachen Auge ungeborener Materie die Verkehrung der Welt. Alles stand Kopf und war seitenverkehrt. Diese unbewusste Raserei im ganzen Lebenskörper der Welt, derer du in deinem Fieberwahn noch einmal ansichtig wurdest, hatte deine Biografie in deinem vorangegangenen Leben dazu verleitet, Selbstmord zu begehen. 

 Kaum warst du zurückgekehrt in deinen zerbrechlichen Körper, zerriss dich das Wundfieber dieses verrückten Zustands erneut. Den zusprechenden Trost deiner Eltern fühltest du plötzlich als höllische Verderbnis. Die elterliche Sorge und ihren liebenden Zuspruch erinnerte dich in dieser Nacht an das Rufen deines Sohnes Friedrich, der dich damals flehend davon abhalten wollte, die Dienstwaffe auf dich selbst, und damit auf alles Leben zu richten. All dem Leid, dem du damals nur mit Selbstmord auszuweichen wusstest, schleuderte dich in diesen nächtlichen Fieberstunden erneut in den eiskalten Wartesaal der kosmischen Leichenhalle. Mit Händen und Füßen schlugst du in jener Nacht unbeugsam um dich, lehntest du dich gegen jenen Wahnsinn des Leidens auf, die jeden Krümel und jede Kreatur bis in das letzte Atom bemächtigt. Wie durch ein Wunder überlebtest du die Nacht und Besserung stellte sich nach einigen Tagen überraschend ein. Die innere Wunde der Wiedergeburt verheilte schnell, verflüchtigte sich im Krankenbett und wurde im fiebrigen Mantel der Einbildung versiegelt. Von da an war das kindliche Spiel vorbei. Später dann, viel später, nach dem Erlernen des Segel hissens, entdecktest du für dich das blanke Wort als Eingang in die weite Welt. Erst waren es nur die Zahlen und Buchstaben der Navigation und die kurzen Bemerkungen über die Vorkommnisse an Bord, die du akribisch in meinen Diensten stehend in das Logbuch eintrugst. Einige Mal war das Spiel mit den Buchstaben und Zahlen so betörend schön, dass mir nach Abschluss deiner Reise und deinem Bericht am Hofe über das Logbuch gebeugt Tränen der Kindheit kamen. Mit grüner, roter und schwarzer Tinte hattest du die Zahlen und Buchstaben der Schiffsreise so innig auf die weißen Blätter des Logbuchs gespielt, wie Kinder eine Murmel auf die Bahn werfen. Johan, heute, 30 Jahre später, kennt jedermann in meinem Reich die Schönheit deiner Schriftzeichen. Jedoch haben sie dich nie glücklich gemacht, weil du in all den tausenden von Seemeilen, in alle den geladenen Schätzen, in all den Berechnungen der Besegelung der Meere und in all den Versen nicht sahst, dass sie es ist, die Seele göttlichen Kindes, die die Verkehrung der Welt aufhebt. Bis heute morgen. Am matten Glanz der Zeilen wurdest du langsam müde, schautest in den Bergen heimlich in deiner rechten Handfläche auf das Ende deiner Lebenslinie. Du warst schon einverstanden, dass sich das offene Geheimnis des Lebens für dich nicht lüften ließe. Johan, du warst einverstanden mit dem ewigen Schlaf des Todes, mit des ungnädigen Gespinstes des Endes, des sinnlosen Nichts in allem. Bis heute morgen. 

 Die Laternen deiner Verse haben dich entgegen deiner lyrischen Erwartung nicht erleuchtet. Eine Niederlage, die einzugestehen für dich nicht leicht war. Und das, obwohl du in meinem Auftrag alle Meere befahren, obwohl du alle Sonnenküsten betreten, obwohl du alle Schätze der Welt deinem König dargebracht hattest. Erst dieses Eingeständnis, nichts, aber auch gar nichts in den Händen zu halten, hat dich in dieser Stunde zu mir gebracht. Liest man die Notizen einer Lebenslinie nur in ihren äußeren Attraktionen, dann gereicht alles zu einem sterblichen Ende. Wärest du diesem Anschein weiter gefolgt, dann wärest du von dem Sog eines verhärmten Poeten verschlungen worden und wahrscheinlich der Versuchung erlegen, erneut in einem Wald Selbstmord zu begehen. Doch das ist für dich nicht vorgesehen. Dafür bist du nicht geboren. Das weißt du auch, sonst hätten deine Füße heute Morgen nicht die Stufen dieses Palastes betreten. Deine barfüssigen Schritte haben dich heute Morgen fühlen lassen, dass du das Erbe, den hellen Gesang der Ahnen in jeder deiner Billionen Zellen des Körpers als Dasein erinnerst. In der Melodie dieses Gesangs ist dir die mündliche Überlieferung an die Generationen angetragen. Das ist dein Vermögen, Johan, dein besitzloser Besitz, das ist es, was du jetzt als goldenen Schatz leuchtend in deinen schwarzen Händen hältst. Mit deinem Ersuch am königlichen Hofe stellst du dich in den Aufgang deiner Inkarnation. Damit ist dir der achtlose Schleier der Einfältigkeit von den Augen genommen. Johan van der Loewen, deiner Bitte wird stattgegeben. Kämmerer, bringe ihn hinein, zeige dem Menschen die Gärten des Palastes.“

  ©   by  J. G:

Mittwoch, 9. Februar 2011

eine

unglaubliche dichte
madame
o sehen sie doch
alles strahlt
irdisch ausgelöst bislang nur technisch
unbewusst im zeitraum der physik

sehen sie doch
madame
dort
sonnenhell
die neue welt
eins ist hier auch zwei

herrlich madame
mit ihnen
am liebesgrund
schnell madame
ein foto   


 ©   by  J. G:

Mittwoch, 2. Februar 2011

so spät noch

Monsieur,  kommen sie herein mein Atelier steht ihnen offen ach ja das große Bild bin noch nicht ganz fertig ihren Brief habe ich gelesen si...