Samstag, 19. April 2025

schon länger im Gespräch

„Vor dem Meere, dem Land und dem alles deckenden Himmel

zeigte Natur in der ganzen Welt ein einziges Anlitz.“ 

Ovid, Metamorphosen




Spät ins Bett. Mir geht es etwas besser. 

Die Kopfschmerzen sind nicht mehr so stark.


Noch in der Nacht habe ich einen bemerkenswerten Dialog hören können, 


Günther Grass saß zusammen mit Bourdieu. 

Sie sprachen über den Zustand der Welt. 


Grass gewohnt in erdfarben braun und grün eingekleidet, saß wie ein buckliger Alter mit seiner Pfeife spielend eingesunken in einem Sessel mit Holzlehnen. Bourdieu ihm halbrechts gegenüber, aufrecht, leicht nach vorn gebeugt. Angriffspunkt war der Neoliberalismus, der wie Bourdieu sagte, seine Stärke darin hat, dass er von „Sozialisten“ jeglicher Couleur durchgeführt wird. 

 

Er verwendete immer wieder das Bild von „Alles stehe auf dem Kopf“, so auch die neoliberale Politik der Regierungen, die alle 4 Jahre dem Wahlvolk diese Politik in einer sozialen „Alles wird besser“ Verpackung  anbietet, um dann nach der Wahl in Stile einer feudalen Klasse uneingeschränkt das Gegenteil politisch zu etablieren.

 

Grass meinte, da seine und auch Bourdieus Lebenszeit begrenzt sei, bräuchte es Nachfolger, die den „Mund aufmachten“, also es bedürfe Schreiber, die die Aufklärung fortführten. Die Franzosen hätten z.B. nach dem Kriege zwei Deutsche, Jünger und Heidegger, als Galionsfiguren ausgesucht, dabei gäbe es mit Lichtenberg einen weit klareren Geist.

 

Als wirtschaftspolitische Kinder der Aufklärung beschrieb Grass den Kapitalismus und den Sozialismus, die sich weit voneinander entfernt hätten und wieder an einen Tisch gebracht werden müssten. Bourdieu, der sonst eine gleich bleibend stoische Haltung während des Dialogs einnahm, verzog dabei unmerklich seine Gesichtszüge, vermied aber mit einem „ich stimme ihnen zu, aber…“ Fronten aufzubauen.

 

Grass stellte fest, dass die gegenwärtige neoliberale Politik einen fast zwinge mehr Staat zu fordern, da sie Anarchie als wirtschaftpolitische Effizienz zulasse, z.B. bei den wild wuchernden Hedge-Fonds. Bourdieu sagte, auch das sei wieder ein Beispiel, dass alles auf dem Kopf stehe und wandte mit Bedacht dagegen ein, nicht mehr Staat, sondern einen anderen Staat verlange dieser Zustand. 

 

Er vermisse eine Vision, die werde natürlich von den gegenwärtigen politischen Interessenvertretungen diskreditiert und gesellschaftspolitisch ins Abseits gestellt, damit keiner auf dumme Gedanken komme. 


Grass ging darauf nicht ein.


Beide beklagen unter dem Mantel der Reform eine Restauration, die den gesellschaftlich, erkämpften Gewinn im sozialen Miteinander ausradiere. Bourdieu hat umfassend die Rhetorik z.B. von Heidegger untersucht, um aufzudecken, mit welchen Sprachbildern die Menschen irregeführt werden und so in einer Unbewusstheit festgehalten werden, die den Widerspruch erträgt und erduldet, dass diejenigen wieder gewählt werden, die einen nach 35 Jahren Müh und Arbeit rechtlich legitimiert enteignen, in dem z.B. die Altersicherung in Form von Lebensversicherung oder einem Häuschen entäußert werden muss, bevor die Sozialhilfe gewährt werden kann.  

 

Dieser Nacht-Dialog legte sich erfrischend in meinen "radioaktiven" Vorsatz der Entbindung von einem Betriebssystem, das der mentalen Lebensmaterie völlig ignorant, mit körperlicher Gewalt und Angst machend keinen bewussten Status zuerkennen.

 

Frage: Wie muss sich heute eine human kreative Initiative im Tagesgeschehen positionieren, um nicht von einer neoliberalen Parteienlandschaft sowie einer feudalisierenden Staatsführung verschlungen, einverleibt oder zerrieben zu werden? 


Im Grunde weiß das Menschliche sehr genau und aufrichtig, ähnlich wie zu Zeiten des Feudalismus, dass sich für sie nichts ändern wird, es sei denn, es kommt zu einer Revolution, doch auch da lehrt die Geschichte, bleibt alles langfristig beim Alten, da die Spezies in dieser Arbeits-und-Konsum Haltung sich nur schwerlich von innen heraus ändern wird. 


Es bleiben dieselben Triebkräfte nur materieller und monetärer Ermächtigung an der Macht, nur in anderen, in unbewussten Mänteln.


Ich gehe schlafen.

Schemenhaft im Einsinken

Die geteilte Welt.

Unfähig das Selbst in ihr zu erkennen.

Nur einen kleinen Schritt zur Seite.

Aufgedeckt.

Beides.



2007   ©   by  J. G:



Am Morgen danach einen Tee.


"Den wirklich freien Markt, den Zugewinn an Würde, Mitgefühl, Esprit und Vermögen menschlichen Miteinanders, Basis jeglichen wirtschaftlichen Reichtums, findet man an den großen und kleinen Küchentischen der Welt, dort, wo Menschen zusammensitzen, miteinander kochen, reden, essen, trinken, weinen und lachen. 


Noch in der Nacht konnte ich leise Noten aus den Gespräche nachhören, dass die Gäste am Tisch sich daran erfreuten wie gut sie im Grunde miteinander auskommen. 

Noch vor Tagesanbruch, in den Umarmungen beim Abschied an der Haustür, fühlten wir, dass in dem offenen und ausgelassenen Zusammensein den Waffengang des nur "eigenen Vorteils" vertrauensvoll überwunden wurde.








 

Freitag, 18. April 2025

Selbstbetrachtung


im Großraum

Sekunde

billigt

der radioaktive Zerfall

den elektrischen Strom

mentaler Lebensmaterie

in ihrem noch unbewussten Zustand 


2025 ©   Johan van der Leeuwen 







Bemalung des Gewölbes


o schönes kind

du zartes feuer 

könig

mit den sonnenaugen




17.4. 2025  ©   by  J. G:





Im 3. Band seiner Phänomenologie schreibt Friedrich Hegel über den Gegenstand unmittelbaren Wissens: 


„Wir haben uns ebenso unmittelbar oder aufnehmend zu verhalten, also nichts an ihm, wie es sich darbietet, zu verändern und von dem Auffassen das Begreifen abzuhalten.“ S. 82

Mittwoch, 9. April 2025

himmelwärts


auf dünnem Ast

 gelandet

der blaue Vogel

singt

belebt vom Chor

der Viren und Bakterien

eine Arie


©   by  J. G:








Freitag, 4. April 2025

des Sommers Duft

 "... und als die Pferde das Gras unter den Hufen spürten

fielen sie in einen leichten Galopp

und schleuderten Grassichel in die Luft

die wie Schwalben hinter ihnen davonstoben"

B. Chatwin


schon länger im Gespräch

„Vor dem Meere, dem Land und dem alles deckenden Himmel zeigte Natur in der ganzen Welt ein einziges Anlitz.“  Ovid, Metamorphosen Spät ins ...