Montag, 28. Dezember 2020

hier

Wenn du mich suchst

Schau nicht nach oben

Du bist

Sieh nach unten

Da

Wo alles oben ist 

 

Die Krume

Und all die Schuhe

Zettel

Auf den Tischen 

An den Haltestellen 

Fahrkarten

Weggeworfen

 

Wenn du mich suchst

Schau nicht nach oben

Du bist

Sieh nach unten

Da

Wo alles oben ist 

 

Wenn ihr mich sucht

Ihr Anständigen

Schaut nicht nach oben

Ohne List

Seht nach unten

Da

Wo alles hell und heller ist

 

Da du mich liebst

allein

Mit all den Blumen

Und dem grünen Gras so fein

Du

Und alles ich

Gepflückt

 Aus deinem Mund

so rein

 

Da ihr mich findest 

All ihr Lieben

Schaut nicht nach oben

Seht doch unten

Wo alles ich und ich

und du und du

so herrlich

tief verschwunden

 

Seht 

Die Besen

Die die Straße kehren

Seht

Die Hände

Die die Kranken pflegen

Seht die Seelen

Die die Seele lieben

 

Schaut nach oben

Seht den Grund

Alles Sein 

Auf ihrem Mund

 

©        J. G: 

 

 

Sonntag, 27. Dezember 2020

Der Chinese aus Henan

Das Dorf war unser Spielplatz, sagte der Chinese aus Henan auf dem Weg zum Haus seiner Mutter. Als Kind sei er immer draußen gewesen. Niemand konnte uns finden, wenn wir uns versteckten. 

Vor dem Eingang nahm er seine alte Mutter an die Hand, ging mit ihr in das Haus, in dem in einer Ecke des Raumes ein kleiner Junge saß, der mit einem Pendel spielte und in einen Fernseher schaute. An den kahlen Wänden hingen Plakate mit chinesischen Landschaften, daneben Stromleitungen auf grauem Betonputz. Auf dem über die ganze Zimmerbreite stehenden rotbraunen Schrank stand eine Uhr zwischen Bildern von Verstorbenen. Es war kurz vor halb 12 Uhr in Zentralchina.

 Im unteren Wohnraum des schlichten, zweistöckigen Hauses steht eine mit jadegrünem Stoff bespannte Bank, an deren Sitzkante, verblasst, goldene Franzen hängen.  Mutter und Sohn setzten sich auf diese Bank. Neben seiner Mutter sitzend, fragte er, ob ihre Hüfte noch weh tue. Wirklich besser sei es nicht, antwortete sie. Ihr Bein sei außerdem etwas steif geworden und Kopfweh habe sie auch immer. Kannst du noch Fernsehen? Ja, das mache ich eigentlich immer, sagte sie. Auf dem Feld habe sie alles Mögliche angepflanzt, da sitze sie immer auf einem Schemel und mache rum.

 Aus einer Reisetasche holt er ein kleines Bündel Geldscheine und reicht es ihr mit den Worten, hier, etwas Geld für dich. Sie sagt, warum gibst du mir das? Du kannst es doch aufheben, antwortet er. Ich habe doch vom letzten mal noch was, sagt sie. Sie habe es dem Neffen gegeben, damit die Kinder zur Schule gehen können.

 Er steht auf, geht zu dem Schrank, auf dem ein rotes Telefon, einige, zerknickte Zettel, Räucherstäbchen und die Bilder der Ahnen stehen. Dies ist meine Großmutter, sagt er, sie wusste wie man einkauft und organisiert. Meine Mutter aber, ist wie ein Kind, bis heute weiß sie nicht wie man einkauft, weiß nicht wie man Geld ausgibt. Sie hat immer nur auf dem Feld gearbeitet. Die Mutter wendet bei den Worten ihres Sohnes ihren schmalen Kopf zur offen stehenden Tür, der bis zu den Augenbrauen unter einer tiefsitzenden, dunkelblauen Mütze steckt.

 Neben dem Schrank stehend zeigt ihr Sohn auf einen verstaubten Bilderrahmen und sagt, das ist mein Vater, er starb 1976, als ich geschäftlich in Lagos war. Bei diesen Worten wechselt er hinüber in die englische Sprache. Ein Bild auf dem Schrank zeigt ihn mit drei Geschäftspartnern aus Lagos. Er habe damals den ersten Flugbetrieb von China nach Lagos mit organisiert  als die Nachricht vom Tod seines Vaters kam. Er war sehr traurig, sagte er gefasst, er musste sich damals festlegen, nach Hause zu kommen oder sich für das Business entscheiden. Er blieb in Lagos, um dort den Flugbetrieb aufrechtzuerhalten. Ich erzählte damals keinem etwas, sagte er. Bei dem Wort „keinem“ hielt er kurz inne und seine Augen wurden feucht. Seine Lippen schlossen sich, seine Stimme fiel in den Falsett. Dann brach er bei dem Wort, mein Vater, schluchzend in Tränen aus. Seine Mutter schaute zu ihm, wischte mit der linken Hand um ihre Augen. Über das Gesicht ihres Sohnes rannen die Tränen und er sagte in einem die Kehle zugeschnürten Ton, „this is life“. Entweder du machst Business, oder du gehst nach Hause, beides zusammen schaffe er nicht.

Dann fiel er vor seiner Mutter auf die Knie, vergrub seinen zu großen Kopf in ihren kleinen Schoß und weinte bitterlich. Nicht weinen, wein doch nicht, sagte sie. An welch schlimmes Ereignis erinnerst du dich gerade. Komm, sagte sie, ich erzähle dir eine Geschichte. Damals in der Schule, da hast du nur gelernt. Du hast nie mit anderen Kindern gespielt. Aber es hat ja dann doch noch alles gut geklappt. Und jetzt achten dich alle, weil du so reich bist.

Langsam stand er auf, hielt dabei die Fingerspitzen ihrer Hand und blickte mit verweinten Augen auf seine Mutter. Hoffentlich ist die Arbeit nicht so anstrengend für dich, sagte sie und schaute hoch zu ihrem Sohn, bei uns geht es einigermaßen. Er nahm ein Tuch, wischte sich die Tränen ab. Bei uns war die Ernte im letzten Jahr nicht so gut, aber dieses Jahr schon. Ein wenig lachte sie bei diesen Worten. Wir hatten hauptsächlich viel Getreide letztes Jahr.

Leicht gebeugt stand der Sohn neben seiner Mutter. Hinter ihm der rotbraune Schrank mit den Bildern der Ahnen. Für einen Augenblick hörte man von Ferne das Rufen von Kindern. Er nahm seinen Blick vom Angesicht der Mutter, richtete ihn auf den durch die offene Tür sichtbaren Horizont des Wohnraumes. Für einen Augenblick war es still, dann lies er die Hand seiner Mutter los. Mit sachten Schritten ging er an der Bank vorbei, verließ das Haus seiner Eltern und betrat den vom Regen aufgeweichten Sandweg. 


© by J. G: 

Donnerstag, 24. Dezember 2020

Mittwoch, 16. Dezember 2020

aufgehoben

Von allem bist du so los gebunden, du, ein Astronaut, frei schwebend im All, in allem schon da, den Himmelsschlüssel in der Hand. Unduldsam erhitzt, begierig meine Hingabe in dieser Stunde an deinen Leib gebunden. 
 
Das Blau des Himmels färbt dich in die große Weite, wo das weiche Blei meines Stiftes fiebrig in der großen Andacht einen Horizont sucht.

Ich bin kurzsichtig, sehe nur schemenhaft in die Ferne, muss mir im Kinosaal des Lebens, um die handelnden Personen und ihre Hinwendungen in die eine oder andere Richtung genau zu betrachten, eine Brille aufsetzen. Am Sonntag, bei einem Spaziergang mit Freunden am breiten Fluss, zerbrach die randlose Brille unglücklich.  Zwei Tage fehlte mir das feine Glas. Vielleicht daher die dreiste Unschärfe, mit der ich die Buchstabensuppe weiterhin versalze.
 
Als C. G Jung auf seinem Totenbett lag, richtete er sich noch einmal auf, hob seinen bleichen Kopf und mit den Augen, die bereits fliehend Ausschau hielten nach dem Eldorado, hauchte er mit dem Gesang von Myriaden Atemzügen: „Ach, bin ich immer noch in dem kleinen Kästchen“.

Wie soll auch die grenzenlose Schönheit des Weiblichen in dieses kleine Denkkästchen passen. Das haben ganze Armeen von Ideologien, Margen und Religionen in den letzten Jahrhunderten versucht und sind an der hellen Ausdehnung armselig zu Grunde gegangen.

J. G: 
 

 

Samstag, 12. Dezember 2020

Ruhollah Zam



heb es auf 

das brennend feuer

es brennt so ungeheuer

das ungeborn verwoben


J. G: 

radioactive principle for the evolution of conscious matter


„Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, 
wie verwirrend es ist, 
dass hier alle Dinge bewusst sind“

 © copyright 2001 by J.G. 

aus  “beinah & so gehört”
 
 

Anwesen

„Liebe ist alles

der große Körper, 

Poesie das flüssige Gold 

und Seele das kleine Kind, 

das in all dem hellen Treiben 

spielend in dir empor steigt. 

Das ist dein Hab und Gut, 

das du durch alle 1000 Leben 

in deinen leeren Hosentaschen findest 

und dein ganz privates Eigentum nennen kannst.“

  ©   by  J. G:

ohne attitüde

 einfach so


J. G. 

an der liebe

 entzündet sich die Karriere des Menschen

  ©   by  J. G:

Donnerstag, 10. Dezember 2020

mausetot

Bei dieser Ignoranz 

handelt sich nicht nur um eine fahrlässige Unterlassung der Spezies Sapiens,

ein Bagatelldelikt.

Sie besteht darin, sich als kreativer Teilnehmer, 

als Lebewesen aus der Mitwelt der Evolution monetär herauszurechnen. 

Diese Mathematik ist einfältiges Denkmuster, 

desaströser Fingerabdruck eines unbewussten Betriebssystems, 

eine Unterschlagung, 

ein wirtschaftliches wie soziales Betrugsverfahren an der Menschwerdung. “ 

J. G: 

horche


und verlösche

wandle dich


J. G: 

Mittwoch, 2. Dezember 2020

Niederschreiben


einer sich selbst wahrnehmenden Welt

"Tief in meiner blanken Materie, in all dem neuronalen Zündholz geschäftigen Denkens, in all den herzergreifenden Seen eines "Himmelhochjauchzendzutodebetrübt", auf all den zitternden Membranen mikrobiotischer Angst, in all den Myriaden autistischer Wellen und Teilchen, in all der so kantig konstruierten Mechanik des Kalzium Ganges, da, mein geliebtes „Nichtlokal“, da, endlich, der Wartesaal zum großen Glück. 

Jeden Tag ruhe ich hier, wenigstens für ein paar Minuten und schaue auf den Bahnsteig. Mit der Fahrkarte in beiden Händen liege ich ausgestreckt auf einer hölzernen Bank höre radioaktiv ein goldrauschend flimmernd leises „we“, ein Lied über zwei, drei Gleise hinweg" 

© by J.G: 

Dienstag, 3. November 2020

An sich

So sitzt 

Der weiße Vogel

An der Lichtung

Des großen Waldes

Schaut hinab

Auf das ewige Meer

Sieht

Was die Welt

In Kreisen

Strichen und Punkten

In den Sand

schreibt



© by J.G. 


Donnerstag, 29. Oktober 2020

gehen wir


ein paar schritte
madame
kommen sie
sehen sie doch
da
die blätter
sie fallen 
von den bäumen
zu boden
und hier
unter unseren füßen
ewiges tun
die wanderung
im ursprung
gegenwärtig
zu sein
madame
kommen sie
schnell
machen sie ein foto

J. G: 

Freitag, 16. Oktober 2020

tibet

o junge anmut

harmonie

im tal der weißen wolken

fallen pfirsichblüten

ins grab des gelben kaisers

hoch oben

am ewigen fluss der steine

flattern die gebetsfahnen

  ©   by  J. G:

Donnerstag, 17. September 2020

Die gute Absicht


Einführung im Programmheft.

Der erste oder vielleicht zweite Versuch der Evolution 
die Spezies Sapiens
auf diesem Wasserplaneten 
im Konzert der Natur 
an dem Unternehmen Erkenntnis und Anwendung der Lebenszusammenhänge, 
also Bildung eines Bewusstseins für das Leben zu beteiligen, 
und diese Erkenntnis der Zusammenhänge 
den Entwicklungen des human-kreativen 
im sozialen wie wirtschaftlichen Miteinander zukommen zu lassen. 

Die Besucher nehmen Platz.
Das Saallicht geht aus.
Der Vorhang hebt sich.

Lila Licht.
Viel Verkehr.
Leise, kaum hörbare Explosionen.
Gesichter über Gesichter.
Münder öffnen sich, schließen sich.
crescendo

Kleine Pause.

Rotes Licht. 
Viel Verkehr.
Explosionen.
Gesichter über Gesichter.
Münder öffnen sich, schließen sich.
crescendo

Kleine Pause.

Der Fortgang 
am Rande dieser kosmischen Provinz 
scheint
in einen Akt der Selbstzerstörung 
der eigenen Art zu fallen.

Kleine Pause.

Gelbes Licht. 
Staub.
Leiber über Leiber.
mezzo piano

Im vorletzten Aufzug des Schauspiels, 
"der Fall Sapiens", 
nach gut zwei Millionen Jahren 
der verschiedensten Investitionen in die Expansion des Zerebrums, 
senkt sich der Vorhang erneut nach dem dritten Akt.

Die Besucher des Theaters 
bleiben eine kurze Weile auf ihren roten Samtpolstern sitzen,
dann erheben sie sich.

Große Pause.

Gespräche in Foyer. 
Gläser klingen aneinander.
Gemurmel. 

Die Klingel des Theaters ruft die Besucher in die Vorstellung.
Die Besucher nehmen ihren Platz ein.
Einige Besucher haben in der Pause die Vorstellung verlassen.

Das Saallicht geht aus.
Der Vorhang hebt sich.
Die Bühne ist leer.
Hinter-und Seitenbühnen sind auch geöffnet.
Blendendes Licht


Aus dem Off dringt still das Weinen eines kleinen Kindes auf die Bühne.
Keinem geht mehr etwas durch den Kopf.

Anfang.

 ©   by  J. G:

Dienstag, 9. Juni 2020

schon lange

„Denkfabrik Sapiens ist pleite. 

Die gesamte Psychologie, die Fabrik der Kopf-Produktion, die kleinwüchsige Münze des "ich ich ich weiß", erweist sich als zahlungsunfähig gegenüber Leben, Mensch, Natur und Kosmos."

Johan van der Leeuwen

Mittwoch, 20. Mai 2020

Himmelfahrt


Madame
Kommen sie
Hier
Einen kleinen Schritt nur
Hinüber
Und wir haben die Erde
Weit unter uns
Sehen sie doch
Madame
Wie bezaubernd
Dort
Auf dem Sandweg
Kinder
Mit ihren Eltern
Sie Spielen
Kieseln
Werfen sie nach vorn
Madame
Jetzt
Sehen sie doch
Das eine Kind
Ein Stein
Es hebt ihn auf
Wirft ihn weit von sich
Oh
Wie hingeworfen
Das Kommen
Und das Gehen
Sterbliches
Im Unsterblichen
Kommen sie
Madame
Senken wir
Die Flügel
Gehen barfuß
Ein paar Schritte
Mit den Kindern
Und den Eltern
Oh
Hören sie doch
Den Gesang
Der Steinchen
Unter den Füßen
Wie Glücklich sie doch sind
Madame
Hier
Die Kamera
Schnell
Machen sie ein Foto

J. G: 

Sonntag, 17. Mai 2020

der Hit

"Versetze ich das Schauspiel „Elvis“ in das Jahr Null, 
in die Zeit der römischen Rechtsordnung, so verstehe ich in meiner Wohnstube der Einbildung den langanhaltenden Jubel um den Hüftschwung der Auferstehung jetzt etwas besser."

Johan van der Leeuwen

Samstag, 16. Mai 2020

Tauchgang

Madame
Schauen sie doch nur
Das Endlich
Im Unendlichen
Dasein
Leben am Ufer des Meeres
Da ist nichts mehr zu wissen
Nichts mehr zu glauben
Kommen sie
Hier
Ihre Flossen
und das  Atemgerät
Gehen wir tauchen

J. G:

Dienstag, 12. Mai 2020

Samstag, 2. Mai 2020

noch einmal



„Was die Entwicklung von Souveränität und Kreativität 
des individuell schöpferischen Lebens 
auf der Grundlage demokratischer Entscheidungen betrifft,
sind wir nicht an einem Ende,
sondern erst am Anfang der Evolution bewusster Lebensformen.“ 


Johan van der Leeuwen

Freitag, 1. Mai 2020

probentage



distanz
hügel der götter

J. G: 

2. Semester

materie
ist nicht nur lebendig
das sagt nicht nur alice im wunderland
sie trägt nicht nur information
sie gebärt auch in ihren zusammenhängen
in aufsteigender reihe
bewusste materie
die in ihren diversen lebensformen
das psychologische motiv
der selbsterkenntnis nach vorn trägt
sie
materie
leben
muss ganz neu buchstabiert werden

sie fragen berechtigt
von wem
und was
und wie

die ersten silben
könnten von den 3 milliarden alten zellen
in ihrem jungen körper kommen
sie senden und empfangen
das tägliche update
diese information passiert
auf der gleichungsbrücke
 der hintergrundstrahlung ihrer zellen
eine radioaktive passage
eine passage des "unteilbar diviert" 
des beginns von allem
für das heute

ohne diese information
könnte sich leben
nie und nimmer
 in diesen wundersamen zusammenhängen
zur kenntnis geben
es gäbe kein grünes gras
keine braune kuh
kein rotkelhlchen
kein lächeln des kindes
kein geburtstagsstrauß
 und auch kein erdbeerkuchen mit sahne

hören sie hin
es wird sie überraschen
und vergessen sie nicht
an den küchentischen
und in den Cafes
sich nebenbei notizen zu machen


die vorlesung ist für heute beendet
wünsche einen guten tag

Johan van der Leeuwen

Montag, 27. April 2020

Stunde um Stunde


Tag für Tag und Nacht für Nacht
Mit der Lore in den Kohleschacht
Immer tiefer hinein
Von Anbeginn
Hellauf entbunden
Schlage ich von weit her kommend
Mit der Übermacht von Äonen
Wie ein Eisenhammer liebeskrank hernieder
Leben für Leben
Meter für Meter
Breche ich den Flöz mit meinen Händen

Beharrlich ziehe ich meinen Karren
Fallend aufwärts
Weiter
Tiefe um Tiefe
Schicht für Schicht
Höher hinauf

Kindlich
Spaziere ich am Ende des Schachtes durch das gefräßige Maul
Spielend
Vorbei am ewigen Murmeln der Gesteine
Vorbei am unterirdischen Gedränge der Kontinente
Vorbei an dem weißen Staub der Schultafeln
Abwärts
Tiefer hinein
Zu der alles empfangenden Membran
Dem brennenden Saum
Am Hohlraum der Zeit

In dem feinen Cheviot
Undurchdringlich eingewoben
Der unbewusste Fels
Das Gestein
Die Ignoranz der Atome

Hauchdünn
Die Klagemauer der Gebeine
Pechschwarz
Die geteilte Welt
Totmachend
Der Film der Gedanken

Mit einem feinen Stich ins Herz
Zerschneidet das Zelluloid
Meinen Seelenleib
Messerscharf
In tausend Stücke

Endlich
Im Unendlichen dividiert
In allem Da
Das Mysterium der Myriaden
Atmet 
Radioaktiv aus dem Hintergrund
Ohne Widerstand durch die Zellwände
Aufgelöst
Im leeren Raum der Atome

Im Leib
Dann
Das Wort
Licht
Unendliche Teilung
Eins

Geöffnet das Jahrmillionengrab
Durch einen Spalt
Das Sehen
Physisch bewusst
Ich und Du
In einem Nest

Im Nebel des frühen Tages erlöst
Steige ich am Morgen
Mit schwarzen Händen aus dem Beginn

Aus meinen Händen 
Der ersten Regen
Tropft
Lebendig
Narrengold

In den Abendstunden dann sitze ich am Tisch
Ein Glas, ein Blatt, ein Stift
Der Himmel unter mir
Schreibe auf
Das Leuchten der Welt

J.G:

Sonntag, 26. April 2020

Gottesanbeterin

"Wird einem das Wort wie eine süße Frucht in den Mund gelegt, dann soll man auch davon probieren."

Die Woche ging schneller herum als ich mich umsehen konnte.
Mittwoch war ich wie alle Schulpflichtigen erledigt.
Fototermin in einer staatlichen Schule.
Der Auftrag,
Neugier.

Indianer, die Hölle ist nichts dagegen.
Jugend, o mein Gott, was für ein herrlich loderndes Feuer, was für ein segensreiches Aufwärts. Von morgens um 9 bis nachmittags um 4 findet es sich eingesperrt in einem nach ranziger Butter riechendem, rechteckigen Raum.

Eine Brandstätte aus kahlen Wänden, umgekippten Stühlen, heruntergerissenen Bildern, verschmierten Tischen.

29 mal aus dem Fenster starrendes, junges Leben.

Am Boden finde ich Achtloses,
Weggeworfen.
Das Lied des Lernens.
Leergut.
Stifte, unbeschriebene wie beschriebene Zettel,
Zerrissenes, halbe Radiergummis, angekaute Äpfel, weggeworfenes Brot, vollgerotzte Zementplatten.

Säuglinge des Lichts.

Den staatlich verordneten Pflichtschultag verschlafen sie, wie die Indianer in den Reservaten, da sie ahnen und wie alles junge Wissen partout nicht lernen wollen, dass junges Leben sterben muss.

14 Tage brachte ich in diesem Zuchthaus der Buchstaben, Zahlen und Seelen zu, umringt von einer herrlichen Affenbande aus halbstarken Muttersöhnchen und bauchfreien Lolitas.

Dann das erste Foto.

Vom Sturm der Begierde nach Freiheit entfesselt, löste ich mich aus der Zentralperspektive, driftete Stunde um Stunde, mit den Schoßkindern wie eine müde Herde von Quallen im großen Ozean zur Küste der Erwartung.

Pause.

Endlich am vorletzten Tag der fallende Beginn.

Das Motiv.

In der Früh.
Vor Sonnenaufgang.
Unausgeschlafen wie Stroh aus dem Vorjahr stiefelst du an die Weide, um bei den Ackerwinden nach der Choreografie der Pferde zu schauen.

Hinsehen. Wie immer.
Immer wieder genau hinsehen.
Ja, man muss genau hinsehen, hinsehen, wenn einer kommt, dasteht oder sitzt, und wenn einer geht.

Jim, Jenna, ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie, Schüler, alle kommen und gehen gleichzeitig.
Erstmals sah ich leibhaftig im jungen Habitus den hellen Tanz der Materie im noch unbewussten Leib.
Alles steht still und bewegt sich.
Gleichzeitig.
Grandios.

Der Eingang ist auch der Ausgang.
Das Lächeln der Mona Lisa.
Der Tod, ein Witz.

Schließe die Augen, Indianer.
Fühlst du den breiten Strom der großen Wasser.
Höre, welche Namen sie tragen.
Nil. Mississippi. Ganges. Jenessai. Rio Negro. Okavango. Jangtsekiang.

Im Angesicht einer Schülerin sah ich dann endlich die großen Flüsse aus den sieben Himmel strömen.

Seelendurst brannte in ihren Augen und mit ihm löschte sie alle Erinnerung von Schulweisheit aus. Erhaben glänzte das Unsterbliche und flog auf einem selbst geschnitzten Pfeil über den breiten Strom der Generationen selbst liebend ins Freie, während das tote Gehölz der Buchstaben gelehrt und müde an ihr vorbei trieb."

  © by J. G:



Das Schöne war, wenn eine künstliche Fliege an ihr vorbeizog,
hat sich die Gottesanbeterin zurückgelehnt und hat Zeitung gelesen.
Ganz anders als eine lebendige Fliege vorbeikam.
Da hat sie „Schnapp“ gemacht.“


v. Foerster

Samstag, 25. April 2020

vielfach

„Politisch passiert derzeit die molekulare Ablösung
des analytischen Stoffwechsel auf der Zellmembran
der Spezies Sapiens.
Ein Akt zur Menschwerdung."


Johan van der Leeuwen

demnächst


"... mitten im gewühl
sieht sapiens sich
mensch."

Johan van der Leeuwen

Donnerstag, 23. April 2020

Halle der goldenen Glöckchen

"Sollte der ahnungsvolle Leib in seinem liebenden Verfall geneigt sein mehr erleben zu wollen, so raten in diesem irdischen Bühnenbild alle naiven Sedimente der Nomaden und Sternendeuter die Zelte abzubrechen und mit einem geschnürten Bündel den gewohnten Ort der alphabetischen Reihung in Richtung indianischer Hochebene zu verlassen." 

           ©   by  J. G: 

wahrnehmen

frisches jetzt

J. G:

Sonntag, 19. April 2020

Wohnzimmer

Schon immer.
Jetzt Öffentlich.
Weltweit.

Erinnerung an den Ursprung 
nach vorn, 
zu dem Geist, 
aus dem Leben gemacht ist.
Miteinander.

Dass es einer solch krisenhaften Bloßstellung bedurfte, das ist bedauerlich, jedoch erinnert es den Mensch in dieser Zeit zutiefst an den kreativen Geist des Zusammenhalts, ohne den jeder Atemzug an Lebensfreude in der Millionen Jahre Geschichte auf diesem Planeten sich leiblich in Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Güte nicht fühlen, denken und handhaben ließe.


Johan van der Leeuwen


Freitag, 17. April 2020

das muss


In der Süddeutschen lese ich die Überschrift des Statements von Herrn Yuval Noah Harari, der mit seinen Büchern „Homo Deus“, „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ und „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ weltweite Furore gemacht hat in der Abteilung „da geht es lang“.
Die Überschrift lautet: „Nicht das Virus ist die größte Gefahr, sondern der Mensch“

Ne, Herr Harari, so nicht.

Weder das Virus ist die größte Gefahr, noch der Mensch.

Ich erzähle einmal eine kleine Geschichte aus dem Leben von Kaspar Hauser. Sie stammt aus dem Film, in dem Andre Eisermann den Hauser spielt. 

Nachdem er aus seinem Verlies befreit wurde, von dem Lehrer eingekleidet und begonnen zu unterrichten, kam ein englischer Adeliger ins Haus des Lehrers, zusammen mit seinem Diener. Er zeigte Gefallen an dem jungen Hauser, kleidete ihn ein und nahm ihn eines nachmittags mit zu einem Picknick am Waldesrand. Der Diener deckte ein, der Adelige amüsierte sich, aß ein Stück von einem Hühnchen, Kaspar schaute in die Welt und freute sich an seinem neuen Kleidern. Gegenüber, nicht weit entfernt von dieser Szene standen zwei Kinder in abgerissen Kleider, sie machten einen ärmlichen und hungrigen Eindruck.  Da warf der Adelige einen Hühnerknochen vor die Füße der beiden Kinder, die sich auf diesen abgenagten Knochen stürzten. Hauser sah das, wandte seinen Blick zu  dem Adeligen, der zu Hauser sagte: „So sind die Menschen.“

So nicht.

Denn die Entwicklung des Sapiens hin zum Menschen ist noch nicht abgeschlossen. 

Spricht man über das Verhalten dieser Spezies Homo Sapiens, so spricht man auch immer von dieser, als einer Spezies, die überwiegend Denken und Handeln aus einem unbewussten Betriebssystem, d.h. in Unkenntnis der inneren Lebenszusammenhänge sich organisiert. 

Die Entwicklung in die mentale Erkenntnis der inneren Zusammenhänge des Lebens sowie der Integrierung in das Denken und Handeln der Spezies befindet sich, berücksichtigt man die Historie der mentalen Evolution, so kann man die Verfehlungen der Spezies nicht in Gänze dem Begriff Mensch zuschreiben, sondern dem mentalen Entwicklungsstand der Spezies Sapiens., der industriell wie finanzpolitisch außerhalb der Lebens-Zusammenhänge sein Hochhaus gebaut hat.

Lässt man diese Inhärenz der Evolution ausser acht, so übersieht man die grundlegende Anlage in der Entwicklung von Lebensformen, die Kooperation. 

Der Begriff Mensch wird mit diesem Argument, wie es Harari tut, vorverurteilt, wie es unbewusst immer wieder in allen Sprachen fatal im Kreislauf eines unbewussten Betriebssystems repetiert wird. 

So ist der Mensch, sich selbst gegenüber, der Verdächtige, der Feind, wird als Täter ausgemacht, verfolgt, eingesperrt, präjudiziert, und letztlich als das Übel des Ganzen zur „ endgültigen Lösung“ ausgeschrieben, gesetzlich legitimiert als der Schuldige auf die Anklagebank gesetzt. 

So verstanden, lebt das Menschliche in der Spezies Sapiens in einer solchen Formulierung, wie es Herr Harari vornimmt, schuldig in einem Todestrakt. 

Das Schöpfungswesen, das seit Jahrhunderten darum ringt Mensch zu werden, der Souverän, das Human Kreative, das Leben selbst, dieses ruft weiterhin in allen Sprachen aus seiner Haft frei gelassen zu werden. 

Das kann nicht unwidersprochen im Feuilleton vorbeidefilieren.



Johan van der Leeuwen

sapiens revue

„Die alten Kaiser besetzten das öffentliche Wort negativ.  Die Neuen machen das auch. Mit Macht. Der Mensch soll tunlichst seine sterbliche ...