Freitag, 4. Mai 2012

So wie es euch gefällt


© Copyright 2004 by Jonathan Goodwill

So wie es euch gefällt

Der erste Satz, den ich vor all den roten Speckgesichtern im Theater von mir geben musste:

Madame, nach vorn fügt sich alles zum Ursprung hin“

Mit diesem Satz hörten die Zuschauer im knarrenden Gestühl blitzartig auf zu grölen. Denn als ich die Bühne betrat, stolperte ich nach ein paar Schritten des musischen Hochgenusses vornüber, tippelte, um das Malheur zu verhindern, wie ein kleines Hühnchen quer über die Bretterbühne, doch aller Sinn für Balance half nichts, ich kam peinlichst und offensichtlich mehr als authentisch vor der Geliebten des Herrn auf meinen grünbestrumpften Knien andächtig zum Stehen.

Mit meinen Schuhen, ich hatte dem Schuhmacher in der Watfordstreet noch nachdrücklich ans Herz gelegt, er solle sie bitte nicht so ausladend modisch spitz formen, bin ich beim Herumgehen um die Dame am linken Rande der Bühne in ihrem auf dem Boden schleifenden Rock hängen geblieben.

Bei der Generalprobe hätte mir der Schauspielmeister beinahe noch in den Hintern getreten, da ich meine grünen, spitzen Schnallenschuhe gar nicht an meinen Füßen hatte. Träumend versäumte ich die Schuhe rechtzeitig vom Schuhmacher abzuholen, da sich mein Blick an diesem Tag entrückt verfangen hatte in ein rothaariges Mädchen, das auf einem Holzkarren saß, der neben dem Marktplatz verlassen abgestellt war.

Er sagte noch, „und pass nur auf, wenn du um die Dame herum gehst, Jüngling und vergiss nicht bei deinem Satz, „Madame“ und "Ursprung" sind eins. Betone, aber naiv. Deswegen habe ich dich ja genommen."

Das Theater sollte im Mai uraufgeführt werden, zum Ruhme des Schauspielmeisters, der nur zwei Straßen neben der Watfordstreet in einem heruntergekommenen Tudorhaus wohnte.
Den halben Frühling verbrachte ich mit dem Satz „Madame, nach vorn fügt sich alles zum Ursprung hin“. Tagsüber arbeitete ich in einer Brauerei und verdiente mir ein paar Pennies nebenbei. Nicht das ich Fässer schleppte, nein, ich war noch ein junger Bursche, etwas zu hager, doch ansehnlich wie der Schauspielmeister immer sagte, jedoch für mein Alter etwas zu hoch aufgeschossen, so das immer, wenn die Gelegenheit sich bot, ich sogar in der letzten Reihe des Theater exzellent einen freien Blick auf das dramatische Ereignis hatte.
Meine Arbeit bestand darin, Rechnungen in weißen Umschlägen zu den Wirten der Schänken zu tragen. Dabei hatte ich tagsüber so manches Mal eine Aussicht auf die sündhafte Welt der einfachen Wirtshäuser.

Vielleicht rührte von dem Anblick dieser schamlos fleischigen Silhouette der Lust meine naive Einbildungskraft das Drama der Liebe hell und unberührt dem einfachen Volk zu offenbaren.

Ursprünglich sollte der Satz, den ich als Edelknabe zu sagen hatte, von des Liebhabers Seele entbunden an den Busen der Dame geatmet werden, doch der Schauspielmeister William meinte, er versage an dieser Intimität, er besitze zwar das Begehren des Fleisches und sein Geist sei erfüllt mit kosmischem Äther, doch es fehle ihm letztlich an Ahnungslosigkeit.

Dieser Mangel des Liebhabers an innigem Begehren brachte mich Schauspielschüler verfrüht auf die Bühne des öffentlichen Schauspiels der Liebe.

An einem kalten Frühjahrstag sah ich William wie er bei einer Probe von uns Schauspielschülern mit unserem Spielleiter, einem ehemaligen Schmied, sprach. Mitten im Gespräch winkte mich der Spielleiter plötzlich heran. Dort verkündete mir William kurz und knapp, er brauche einen naiven Jüngling und er wolle es mit mir versuchen.

All dies geschah kurz vor dem Osterfest. Ein paar Wochen darauf, an Pfingsten, sollte schon die erste bezahlte Aufführung im Theater stattfinden. Mir war es einerlei um was es eigentlich ging, bekam ich doch mit diesem verfrühten Wink des Schicksal die Gelegenheit einmal vor versammeltem Publikum auf der Bühne des Globe Theater zu stehen und einen Satz sagen zu können.
Es sollten tatsächlich zwei Sätze werden. Denn der Liebhaber brachte bei der Generalprobe das Erheben des Weibes in den Göttlichen Stand, so der Schauspielmeister William, nicht frei, sondern nur fromm von seinen Lippen. Das alles hätte keinen Eros, so der Schauspielmeister. Der Liebhaber zeigte Zornesröte in seinem eirunden Gesicht, warf daraufhin empört seinen Stock quer über die Bühne und verließ mit wehendem Gewand die Generalprobe.

Jüngling, komm her, sag du es, schnarrte William, ohne sich groß zu einem Drama handfesten Ausmaßes hinzureißen zu lassen. In dem wutschnaubenden Abgang des gedemütigten Schauspielers postierte mich William kurzerhand näher an die Geliebte heran, als es ursprünglich gedacht war.

Erstmals kam ich in dem großporigen pulsierenden Gesicht einer Dame dem theatralisch lodernden Eifer fleischlicher Lust so nah, wie ich ihn auf meinen Botengängen bislang nur in einem von Rauch, Suff und lärmenden Feixen durchtränktem Bühnenbild flüchtig erhaschen konnte.

Nun, auf, nur Mut, sagte der Schauspielmeister William zu mir, du kennst den Text ja zu genüge, los, los die anderen Herrschaften, hopp hopp Aufstellung. Erstaunlich war, dass das Chaos, dieses drunter und drüber der Probentage unerwartet ausblieb. So. als wenn nichts geschehen wäre stand ich neben der Geliebten und sagte den im Manuskript vorgeschrieben Satz:

O Madame, ihr schon immer göttlich
und alles ich noch Mensch“

Wunderbar naiv, applaudierte William, wunderbar.

Bei diesen Worten stand ich seitlich neben dem in Flammen stehenden Weib, so unangemeldet nah, dass ich das gewaltige Heben und Senken ihres Busens unter dem wallenden Aufzug wie das unmittelbare Aufbrechen und Verschieben von Kontinenten direkt vor mir bedrohlich auf mich zukommen sah.

Eigentlich sollte die Dame an dieser Stelle des Stückes in die Arme des Geliebten fallen, doch da dieser es vorzog sich übel zu fühlen an seinem Mangel an ahnungsloser Liebeskunst, sollte die Dame sich stattdessen erstaunt nach oben wenden, zu den himmlischen Fluren, so als kämen die Worte engelsgleich aus dem Seelenraum des Liebhabers.
hier
madame
der sterbliche flügel
ihr fliehendes verlangen
aus dem leib befreit
die eine seele
die letzte illusion empor“

Die Generalprobe gelang, bis auf den Aussetzer des Hauptdarstellers, der übrigens, so wie ich hörte, nach einem deftigen Wirtshausabend mit dem Schauspielmeister und haltlos berocktem Anhang wie von Zauberhand wieder zurück auf die Bühne der feudalen Welt fand.

Die Premiere sollte für mich zu einer Art von Heimsuchung werden. Seit ich beschlossen hatte den Weg des Mimen einzuschlagen, segle ich seitdem in stiller Passion auf und davon, ins Weite, immer entlang an der strahlenden Seite des Leben.

 o madame
welch schwindel
grenzenlos begabt
das helle in allem
eine übertreibung
in all der leere

Bevor der Vorhang sich für die Besucher des Theaters hob, richtete der Schauspielmeister eine Rede an die versammelten Herrschaften vor der Bühne und hinauf zu den bunten Röcken in den Holzgalerien. 

Hochverehrten Damen, meine geschätzten Herren

Willkommen im „Globe Theatre“

Die wahre Größe der kosmischen Bühne ist ein heiß umstrittenes Thema unter den Edelleuten, Bürgern und Bauern.

Die einen sagen, es gibt nur ein Universum, die anderen sagen, es gibt davon so viele, so wie es Sand an unseren Meeren gibt.

Beileibe, ich muss bei diesem Gedanken aufpassen, dass mir nicht schwindelt.

Nun gut der philosophischen Vorrede, der Vorhang soll sich heben.

Hochwohlgeboren oder nicht, all die Gestalten und Kreaturen, alle finden ihre Welt hier in diesem Theater.

Hier, ja hier auf diesen losen Brettern genießen wir all den Schwindel von Liebe und Leid.

Hier können wir den ganzen schönen Schein des Lebens ungestört betrachten und, meine Hochverehrten Damen, meine geschätzten Herren, und auch genießen.

Und wir, die Schauspieler und Akteure, ja wir Gaukler, wir machen ihnen da gewaltig etwas vor.

Heute Abend, hochgeschätztes Theatervolk, eine Uraufführung.
Sehen sie die Komödie

So wie es Euch gefällt.

Das Leben braucht seinen Schwindel.
Alle hier sind, unten wie oben in den Penny-Galerien wissen es, nur deshalb brauchen wir das ganze Theater. 

Ohne diesen Schwindel könnten wir nicht atmen.

Ruhm und Ehre für den König.
Edelvolk, Bürger und Bauern, strömt zusammen und feiert mit uns das ganze Theater.
Hochverehrten Damen, meine geschätzten Herren:

Vorgang auf.

Mit diesen Worten trat der Meister hinter den Vorhang, schickte uns in Position auf die Bretter und dann hob sich für die ahnende Welt da draußen der Vorhang für des Lebens komödiantisches Festspiel von abgöttisch liebender Verrücktheit und untröstlichem Liebesleid.

Im ersten Akt stand ich links am Aufgang bei der Holztreppe, der Schmied an meiner Seite. Er hatte sich gegen den Willen des Meisters hinter die Bühne begeben. Ich gebe unumwunden zu, dass ich ihn in einem unbemerkten Augenblick eingeschmuggelt und versteckt habe. Wenn es eines war, was der Schauspielmeister William nichts leiden konnte, dann war es, wenn seine Saufkumpanen aus den nächtlichen Gelangen die Aufführung hinter der Bühne sich anzuschauen wagten.

Der erste und der zweite Akt verliefen zur Freude des Schauspielmeisters und aller Akteure reibungslos. Bis auf das kleine Malheur am Rande, als des Liebhabers Hosenband am Ende des zweiten Aktes unerwartet entzwei ging. Seine Angebetete zuckte nur kurz auf mit ihren Augenbrauen und hielt sich in Anbetracht der ungeheuren Lächerlichkeit den Fächer blitzschnell vor ihr auffällig geschminktes Gesicht, das drohte aus den Fugen zu geraten. Die Brauen waren ihr gegen hilfloses Ersuchen um Gnade vor der Premiere mit Tinte geschwärzt worden, der Friseur hatte doch den kleinen Sack mit der Holzkohle vergessen. Vom Manuskript her war dies ein unbedingtes muss, denn die Vergötterte sollte vornehmlich mit einem übertriebenen gestikulieren ihrer Gesichtszüge Flagge zeigen, so dass auch jeder Trottel in der letzten Reihe des Theaters erkennen sollte, wenn die Angehimmelte Ablehnung oder Zuneigung zeigt.

Der Ritter der Liebe stand also vor seiner Angebeteten und befand sich in der Anbahnung zur entscheidenden Szene, in der er das Herz der Geliebten Dame erobern wollte. Nach einer höfischen Verbeugung trat er mit klackend aufdringlichem Schritt nach vorn und hob mit einem tiefen Atemzug zur entscheidenden Deklamation, die im vierten Akt zur Hochzeit führen sollte.

Sein Diener, so im Manuskript vorgesehen, stand Gott sei Dank neben seinem Herrn und rettete blitzschnell die Situation mit dem Überwurf eines mitgeführten Mantels und den Worten:

Mein Herr, schnell, die Pferde warten zum gemeinsamen Ausritt.

Im letzten Akt, dort wo die Fäden der Liebe entwirrt und es zur Versöhnung der Buhler und verfeindeten Familien am Hofe kommen sollte, erwartete ich mit heißem Herzen meinen langersehnten Auftritt.
Die Schnallen der Schuhe zog ich vor dem vierten Akt noch einmal außerordentlich nach und stand mit schmerzenden Füßen an der Holztreppe zur Bühne bereit zum Spektakel.
Ich sprang in der entscheidenden Szene mit jugendlichem Tatendrang wie ein schottischer Schafsbock auf die Lichtung der Bühne und sah erstmals von der Innenseite auf die große, farbenprächtige und erwartungsfrohe Welt.

In meiner unbändigen Freude, dass es tatsächlich wahr geworden ist, war ich einen Augenblick unaufmerksam, stolperte und fiel mit der ganzen Not eines Grünlings auf die Knie, direkt vor den samtroten Rocksaum der Dame des Herrn. Nun war der Herr der Dame ja nicht fort, wie bei der Generalprobe, sondern er stand bereit zur dramatisch gespreizten Liebesdeklamation.

Das Bild muss erbärmlich, ja jämmerlich ausgesehen haben und doch bin ich zurückschauend beruhigt, sind es doch offensichtlich die unvorhergesehenen Zwischenfälle, die bei allen Zuschauern schlagartig in nur kurzer Zeit eine bis ins unendliche hineinreichende Raserei von Frohsinn und Begeisterung auslöst.

Ausgesehen muss ich haben wie der heilige Antonius zu Füssen des Herrn Jesu im Beisein seiner Geliebten Maria, derentwillen er ja später auch aus dem Grab auferstanden ist, weil sie ihn so überirdisch geliebt habe.

das wasser der wanderungen
madame
sieht sich
im strom der dinge
von geburt zur geburt
gebunden
für und wider aufzugeben
um alles anzunehmen

Das im Welttheater der irdischen Provinz versammelte Publikum vergnügte sich gelungen und zu meinem Behagen dabei herrlich frei an meinem Kniefall und johlte in einer vor Beglückung trunkenem Wahn." 

 ©   by  J. G:

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