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Copyright 2004 by Jonathan Goodwill
So
wie es euch gefällt
Der erste Satz, den ich vor all den roten Speckgesichtern im Theater
von mir geben musste:
„Madame,
nach vorn fügt sich alles zum Ursprung hin“
Mit
diesem Satz hörten die Zuschauer im knarrenden Gestühl blitzartig
auf zu grölen. Denn als ich die Bühne betrat, stolperte ich nach ein
paar Schritten des musischen Hochgenusses vornüber, tippelte, um das
Malheur zu verhindern, wie ein kleines Hühnchen quer über die
Bretterbühne, doch aller Sinn für Balance half nichts, ich kam
peinlichst und offensichtlich mehr als authentisch vor der Geliebten
des Herrn auf meinen grünbestrumpften Knien andächtig zum Stehen.
Mit
meinen Schuhen, ich hatte dem Schuhmacher in der Watfordstreet noch
nachdrücklich ans Herz gelegt, er solle sie bitte nicht so ausladend
modisch spitz formen, bin ich beim Herumgehen um die Dame am linken
Rande der Bühne in ihrem auf dem Boden schleifenden Rock hängen
geblieben.
Bei
der Generalprobe hätte mir der Schauspielmeister beinahe noch in den
Hintern getreten, da ich meine grünen, spitzen Schnallenschuhe gar
nicht an meinen Füßen hatte. Träumend versäumte ich die Schuhe
rechtzeitig vom Schuhmacher abzuholen, da sich mein Blick an diesem
Tag entrückt verfangen hatte in ein rothaariges Mädchen, das auf
einem Holzkarren saß, der neben dem Marktplatz verlassen abgestellt
war.
Er
sagte noch, „und pass nur auf, wenn du um die Dame herum gehst,
Jüngling und vergiss nicht bei deinem Satz, „Madame“ und "Ursprung" sind eins. Betone, aber naiv. Deswegen habe ich dich ja
genommen."
Das
Theater sollte im Mai uraufgeführt werden, zum Ruhme des
Schauspielmeisters, der nur zwei Straßen neben der Watfordstreet in
einem heruntergekommenen Tudorhaus wohnte.
Den
halben Frühling verbrachte ich mit dem Satz „Madame, nach vorn
fügt sich alles zum Ursprung hin“. Tagsüber arbeitete ich in
einer Brauerei und verdiente mir ein paar Pennies nebenbei. Nicht das
ich Fässer schleppte, nein, ich war noch ein junger Bursche, etwas
zu hager, doch ansehnlich wie der Schauspielmeister immer
sagte, jedoch für mein Alter etwas zu hoch aufgeschossen, so das
immer, wenn die Gelegenheit sich bot, ich sogar in der letzten Reihe
des Theater exzellent einen freien Blick auf das dramatische Ereignis
hatte.
Meine
Arbeit bestand darin, Rechnungen in weißen Umschlägen zu den Wirten
der Schänken zu tragen. Dabei hatte ich tagsüber so manches Mal
eine Aussicht auf die sündhafte Welt der einfachen Wirtshäuser.
Vielleicht
rührte von dem Anblick dieser schamlos fleischigen Silhouette der
Lust meine naive Einbildungskraft das Drama der Liebe hell und
unberührt dem einfachen Volk zu offenbaren.
Ursprünglich
sollte der Satz, den ich als Edelknabe zu sagen hatte, von des
Liebhabers Seele entbunden an den Busen der Dame geatmet werden, doch
der Schauspielmeister William meinte, er versage an dieser Intimität,
er besitze zwar das Begehren des Fleisches und sein Geist sei erfüllt
mit kosmischem Äther, doch es fehle ihm letztlich an
Ahnungslosigkeit.
Dieser
Mangel des Liebhabers an innigem Begehren brachte mich
Schauspielschüler verfrüht auf die Bühne des öffentlichen
Schauspiels der Liebe.
An
einem kalten Frühjahrstag sah ich William wie er bei einer Probe von
uns Schauspielschülern mit unserem Spielleiter, einem ehemaligen
Schmied, sprach. Mitten im Gespräch winkte mich der Spielleiter
plötzlich heran. Dort verkündete mir William kurz und knapp, er
brauche einen naiven Jüngling und er wolle es mit mir versuchen.
All
dies geschah kurz vor dem Osterfest. Ein paar Wochen darauf, an
Pfingsten, sollte schon die erste bezahlte Aufführung im Theater
stattfinden. Mir war es einerlei um was es eigentlich ging, bekam ich
doch mit diesem verfrühten Wink des Schicksal die Gelegenheit einmal
vor versammeltem Publikum auf der Bühne des Globe Theater zu stehen und
einen Satz sagen zu können.
Es
sollten tatsächlich zwei Sätze werden. Denn
der Liebhaber brachte bei der Generalprobe das Erheben des Weibes in
den Göttlichen Stand, so der Schauspielmeister William, nicht frei,
sondern nur fromm von seinen Lippen. Das alles hätte keinen Eros, so
der Schauspielmeister. Der
Liebhaber zeigte Zornesröte in seinem eirunden Gesicht, warf
daraufhin empört seinen Stock quer über die Bühne und verließ mit
wehendem Gewand die Generalprobe.
Jüngling,
komm her, sag du es, schnarrte William, ohne sich groß zu einem Drama
handfesten Ausmaßes hinzureißen zu lassen. In dem wutschnaubenden
Abgang des gedemütigten Schauspielers postierte mich William
kurzerhand näher an die Geliebte heran, als es ursprünglich gedacht
war.
Erstmals
kam ich in dem großporigen pulsierenden Gesicht einer Dame dem
theatralisch lodernden Eifer fleischlicher Lust so nah, wie ich ihn
auf meinen Botengängen bislang nur in einem von Rauch, Suff und
lärmenden Feixen durchtränktem Bühnenbild flüchtig erhaschen
konnte.
Nun, auf, nur Mut, sagte der
Schauspielmeister William zu mir, du kennst den Text ja zu genüge,
los, los die anderen Herrschaften, hopp hopp Aufstellung.
Erstaunlich war, dass das Chaos, dieses drunter und drüber der
Probentage unerwartet ausblieb. So. als wenn nichts geschehen wäre
stand ich neben der Geliebten und sagte den im Manuskript
vorgeschrieben Satz:
„O
Madame, ihr schon immer göttlich
und
alles ich noch Mensch“
Wunderbar naiv,
applaudierte William, wunderbar.
Bei
diesen Worten stand ich seitlich neben dem in Flammen stehenden Weib,
so unangemeldet nah, dass ich das gewaltige Heben und Senken ihres
Busens unter dem wallenden Aufzug wie das unmittelbare Aufbrechen und
Verschieben von Kontinenten direkt vor mir bedrohlich auf mich
zukommen sah.
Eigentlich
sollte die Dame an dieser Stelle des Stückes in die Arme des
Geliebten fallen, doch da dieser es vorzog sich übel zu fühlen an
seinem Mangel an ahnungsloser Liebeskunst, sollte die Dame sich
stattdessen erstaunt nach oben wenden, zu den himmlischen Fluren, so als
kämen die Worte engelsgleich aus dem Seelenraum des Liebhabers.
„hier
madame
der sterbliche flügel
ihr fliehendes verlangen
aus dem leib befreit
die eine seele
die letzte illusion empor“
Die
Generalprobe gelang, bis auf den Aussetzer des Hauptdarstellers, der
übrigens, so wie ich hörte, nach einem deftigen Wirtshausabend mit
dem Schauspielmeister und haltlos berocktem Anhang wie von Zauberhand
wieder zurück auf die Bühne der feudalen Welt fand.
Die
Premiere sollte für mich zu einer Art von Heimsuchung werden. Seit
ich beschlossen hatte den Weg des Mimen einzuschlagen, segle ich seitdem in
stiller Passion auf und davon, ins Weite, immer entlang an der
strahlenden Seite des Leben.
o
madame
welch schwindel
grenzenlos begabt
das helle in allem
eine übertreibung
in all der leere
Bevor
der Vorhang sich für die Besucher des Theaters hob, richtete der
Schauspielmeister eine Rede an die versammelten Herrschaften vor der Bühne und hinauf zu den bunten Röcken in den Holzgalerien.
Hochverehrten
Damen, meine geschätzten Herren
Willkommen im „Globe Theatre“
Die wahre Größe der kosmischen
Bühne ist ein heiß umstrittenes Thema unter den Edelleuten, Bürgern
und Bauern.
Die einen sagen, es gibt nur ein
Universum, die anderen sagen, es gibt davon so viele, so wie es Sand
an unseren Meeren gibt.
Beileibe, ich muss bei diesem
Gedanken aufpassen, dass mir nicht schwindelt.
Nun gut der philosophischen
Vorrede, der Vorhang soll sich heben.
Hochwohlgeboren oder nicht, all die Gestalten und Kreaturen,
alle finden ihre Welt hier in diesem Theater.
Hier, ja hier auf diesen losen
Brettern genießen wir all den Schwindel von Liebe und Leid.
Hier
können wir den ganzen schönen Schein des Lebens ungestört
betrachten und, meine Hochverehrten Damen, meine geschätzten Herren,
und auch genießen.
Und wir, die Schauspieler und
Akteure, ja wir Gaukler, wir machen ihnen da gewaltig etwas vor.
Heute Abend, hochgeschätztes Theatervolk, eine Uraufführung.
Sehen sie die Komödie
So wie es Euch gefällt.
Das Leben braucht seinen
Schwindel.
Alle hier sind, unten wie oben in den Penny-Galerien wissen es, nur deshalb brauchen wir das ganze Theater.
Ohne
diesen Schwindel könnten wir nicht atmen.
Ruhm
und Ehre für den König.
Edelvolk,
Bürger und Bauern, strömt zusammen und feiert mit uns das ganze Theater.
Hochverehrten
Damen, meine geschätzten Herren:
Vorgang
auf.
Mit
diesen Worten trat der Meister hinter den Vorhang, schickte uns in Position auf die Bretter und dann hob sich für die ahnende Welt
da draußen der Vorhang für des Lebens komödiantisches Festspiel
von abgöttisch liebender Verrücktheit und untröstlichem
Liebesleid.
Im
ersten Akt stand ich links am Aufgang bei der Holztreppe, der
Schmied an meiner Seite. Er hatte sich gegen den Willen des Meisters
hinter die Bühne begeben. Ich gebe unumwunden zu, dass ich ihn
in einem unbemerkten Augenblick eingeschmuggelt und versteckt habe.
Wenn es eines war, was der Schauspielmeister William nichts leiden
konnte, dann war es, wenn seine Saufkumpanen aus den nächtlichen
Gelangen die Aufführung hinter der Bühne sich anzuschauen wagten.
Der
erste und der zweite Akt verliefen zur Freude des Schauspielmeisters
und aller Akteure reibungslos. Bis auf das kleine Malheur am Rande,
als des Liebhabers Hosenband am Ende des zweiten Aktes unerwartet
entzwei ging. Seine Angebetete zuckte nur kurz auf mit ihren
Augenbrauen und hielt sich in Anbetracht der ungeheuren
Lächerlichkeit den Fächer blitzschnell vor ihr auffällig
geschminktes Gesicht, das drohte aus den Fugen zu geraten. Die Brauen
waren ihr gegen hilfloses Ersuchen um Gnade vor der Premiere mit
Tinte geschwärzt worden, der Friseur hatte doch den kleinen Sack mit der Holzkohle
vergessen. Vom Manuskript her war dies ein unbedingtes muss, denn die
Vergötterte sollte vornehmlich mit einem übertriebenen
gestikulieren ihrer Gesichtszüge Flagge zeigen, so dass auch jeder
Trottel in der letzten Reihe des Theaters erkennen sollte, wenn die
Angehimmelte Ablehnung oder Zuneigung zeigt.
Der
Ritter der Liebe stand also vor seiner Angebeteten und befand sich in
der Anbahnung zur entscheidenden Szene, in der er das Herz der
Geliebten Dame erobern wollte. Nach einer höfischen Verbeugung trat
er mit klackend aufdringlichem Schritt nach vorn und hob mit einem
tiefen Atemzug zur entscheidenden Deklamation, die im vierten Akt zur
Hochzeit führen sollte.
Sein
Diener, so im Manuskript vorgesehen, stand Gott sei Dank neben
seinem Herrn und rettete blitzschnell die Situation mit dem Überwurf
eines mitgeführten Mantels und den Worten:
Mein
Herr, schnell, die Pferde warten zum gemeinsamen Ausritt.
Im
letzten Akt, dort wo die Fäden der Liebe entwirrt und es zur
Versöhnung der Buhler und verfeindeten Familien am Hofe kommen
sollte, erwartete ich mit heißem Herzen meinen langersehnten
Auftritt.
Die
Schnallen der Schuhe zog ich vor dem vierten Akt noch einmal
außerordentlich nach und stand mit schmerzenden Füßen an der
Holztreppe zur Bühne bereit zum Spektakel.
Ich
sprang in der entscheidenden Szene mit jugendlichem Tatendrang wie
ein schottischer Schafsbock auf die Lichtung der Bühne und sah
erstmals von der Innenseite auf die große,
farbenprächtige und erwartungsfrohe Welt.
In
meiner unbändigen Freude, dass es tatsächlich wahr geworden ist,
war ich einen Augenblick unaufmerksam, stolperte und
fiel mit der ganzen Not eines Grünlings auf die Knie, direkt vor den
samtroten Rocksaum der Dame des Herrn. Nun war der Herr der Dame ja
nicht fort, wie bei der Generalprobe, sondern er stand bereit zur
dramatisch gespreizten Liebesdeklamation.
Das
Bild muss erbärmlich, ja jämmerlich ausgesehen haben und doch bin
ich zurückschauend beruhigt, sind es doch offensichtlich die
unvorhergesehenen Zwischenfälle, die bei allen
Zuschauern schlagartig in nur kurzer Zeit
eine bis ins unendliche hineinreichende Raserei von Frohsinn und
Begeisterung auslöst.
Ausgesehen
muss ich haben wie der heilige Antonius zu Füssen des Herrn Jesu im
Beisein seiner Geliebten Maria, derentwillen er ja später auch aus
dem Grab auferstanden ist, weil sie ihn so überirdisch geliebt
habe.
„das
wasser der wanderungen
madame
sieht sich
im strom der dinge
von geburt zur geburt
gebunden
für und wider aufzugeben
um alles anzunehmen“
Das
im Welttheater der irdischen Provinz versammelte Publikum vergnügte
sich gelungen und zu meinem Behagen dabei herrlich frei an meinem
Kniefall und johlte in einer vor Beglückung trunkenem Wahn."
© by J. G: