Sonntag, 21. Dezember 2008

himmelsjuwel

"eingeboren

in die Sprache der Gräser
bleibe ich in allem heimwärts“ 


  ©   by  J. G:

Dienstag, 18. November 2008

ganz und gar

"Die globale Rendite-Privatisierung der elementaren Lebensgrundlagen wie Wasser, Erde, Luft und Feuer zeugt von einer seelischen Verarmung und geistigen Verelendung eines Denkprimaten, der im Stammbaum der Evolution mit dem Titel Sapiens eingetragen ist.

Eingemauert in einem egometrischen Arbeitshaus Lebenstod, umnachtet von einer unbewussten Verwaltung der physischen Welt, verwehrt dieses Arbeitshaus dem Menschen im Sapiens den Zugang zum nächsten Aufgang in der Evolution, die Einsicht und Zutritt in den Lebensraum der inneren Zusammenhänge, einer Welt bewusster Lebensmaterie gewährt, die sich losgebunden hat von der Gewalt und dem Töten anderen Lebensformen, da sie ja die eigenen sind.
Erst jetzt, mit dieser Erkenntnis in der Hand, rechtfertigt die Spezies ihren Namen, Homo Sapiens Sapiens."

Johan van der Leeuwen

Samstag, 15. November 2008

jetzt du


"Mit meinen Eltern saß ich in der ersten Reihe auf der Kirchenbank des kleinen Dorfes, als der Herr Pfarrer mir, dem kleinen Buben und den vielen anderen Erstklässlern auf dem braunen Kirchengestühl, die weite Welt da draußen erklärte und was wir alles zu lernen hätten, wenn wir am nächsten Tag erstmals die Schwelle des Schulhauses betreten sollten. 

Beim Vortragen seiner Rede lief er vor meinen von der Kirchenbank baumelnden roten Lederschuhen mit den braunen Bändchen auf und ab, so als eilte er mit wehendem Gewand verspätet aus dem Pfarramt zum nahen Friedhof, um dann im selben Augenblick, nachdem er die Tür zum Pfarrhaus zugeschlagen hatte, innezuhalten, mit dem Gedanken befasst, Schulbuchstaben im Pfarrhaus vergessen zu haben, das Gesangbuch, den kleinen Zettel mit dem Namen des Toten, so das sein schwarzer Kittel vor meinen staunenden Kinderaugen hinter ihm her wedelte, so wie das süße Parfüm der Frau Bäckerin, die uns kleinen Weltenwanderern im Gesang der Türbimmel jeden Freitag im Dorfe die roten Kirschbonbons gütig über den Tresen reichte. 

Im Innehalten drehte er sich auf seinen schwarzen Schuhen, die an den Absätzen bereits krumm und schräg gelaufen waren, zu den versammelten Lämmern und Schäfchen, zu denen auch ich gehörte, und erinnerte die erwartungsfrohen Äuglein mit ihren kleinen Händchen um die Schultüten an das, was es draußen in der Welt zu lernen galt. 

Die Parade des Pfarrers wiederholte sich mehrmals vor meinem klopfenden Herzen. Er eilte von rechts nach links, und dann wieder von links nach rechts, um an den Kehren immer wieder inne zuhalten, wobei das schwarze Gewand vom vielen hin und her am Saum ermüdet immer und immer wieder über die schwarzen Schuhe des Herrn Pfarrer wischte. So hörten meine kleinen Öhrchen eindringlich erstmals die Worte, dass man das Wissen der weiten Welt nur erobern kann, wenn man am nächsten Tag damit begönne, in der Schule eifrig lesen, schreiben und rechnen zu lernen.

Im eiligen Vorrüberhuschen des schwarzen Himmels vor meiner neugierigen Nase, der Umarmung der süßen Welt mit meinen kleinen Händchen, dem gütigen Blick meines Vaters zur linken und dem braunen Mantel meiner Mutter zur rechten, sah ich wie die Schuhe des Herrn Pfarrer von mal zu mal immer glänzender wurden, so wie die Sterne am Nachthimmel über dem Bahnhof, in dem wir seit drei Jahren zusammen mit meiner Großmutter und meinen drei älteren Geschwistern wohnten. 

Da mein Vater bei der Eisenbahn arbeitete und wir die ersten Jahre auf dem Bahnhof wohnten und ich einen der Prominenten des Dorfes kannte, den Herrn Bahnhofsvorsteher in seinem blauen Dienstjackett mit rotem Kragen und sechs silbernen Knöpfen, wusste ich schon sehr früh, welches Handzeichen Züge abfahren lies. Man musste nur bei Ankunft des Zuges dicht am Bahnsteig stehen, ein wenig warten, bis alle Fahrgäste ein und ausgestiegen sind, dann ein kurzer Pfiff, die Hand in Richtung Lokomotive heben und schon setzte sich eine lange, dampfende Eisenschlange auf Rädern wundersam in Bewegung. 

Als Zauberlehrling stand ich mit meinen Kinderbeinen Sommers wie Winters bei der Abfahrt der Züge neben dem Herrn Bahnhofsvorsteher und hob erst unbemerkt meine Fingerchen in meiner Hose, dann später so hoch erhoben wie der Bahnhofsvorsteher meine ganze Hand, so dass meine Fingerspitzen die drei Jahre der Lehre hochwanderten, von der roten Hosennaht bis hoch zu dem zweiten silbernen Knopf an der blauen Jacke des Herrn Bahnhofsvorstehers. 

Drei Jahre ging ich bei dem Herrn Bahnhofsvorsteher in die Lehre und am Ende meines Dienstes überließ manchmal der Herr Bahnhofsvorsteher nach seinem Pfiff meinen leuchtenden Augen das Abfahren der Züge mit den zwei Worten: Jetzt du. 

Als der Herr Pfarrer an dem Tag des kirchlichen Segens wie ein D-Zug rechts wie links an mir vorbei sauste und den jungen Seelen auf den Holzbänken Anfang und Ende der Welt zu lernen gebot, löste sich meine rechte Hand wie von selbst von der gelben Zuckertüte und erhob sich wundersam mit den Worten zur Abfahrt: Kann ich." J.G:

Sonntag, 9. November 2008

noch ganz anders


"Die Äquivalenz von Materie und Bewusstsein ist beziehungsfrei, nicht relativ.
Beides.
Beides gleichzeitig.
Nicht identisch.
Ein Selbst.
Zweifach eins."

Johan van der Leeuwen

Gleichungsbrücke



Materie und Bewusstsein

beides

passiert

radioaktiv 

die Zelle

J.G:

das quantum


oben
im grunde wahr
 wirkt
da
welt
passiert
.

J. G:

Samstag, 1. November 2008

ohne alles

"zu werden 
hob es mich auf"

"Ist die Flamme dann in mir durch den lautlosen Flug des Falken entzündet, öffne ich die Augen und fuchtle hilflos mit den Händen in der Luft herum, so als würde ich wie ein autistischer Schwarm von Milliarden Mücken versuchen, den gesamten Lichtsatz der Sensation in meiner Kamera in Sicherheit zu bringen." 

J.G:

Sonntag, 26. Oktober 2008

ich schrieb




„Muriel, im Moment kam ich nach Haus und fand Deinen Brief auf der Ablage.

Deine Worte sind wohltuend.

Gleich vorneweg das erste und wichtigste Abenteuer für mich.
Mit Dir teilnehmen am Unteilbaren.

Ein herrlicher Lichtsatz, der Einfall in das Innere des Geschehens, eine strahlende Kurve, ein doppeltes Endlich, ein erlösendes Hinaus, hingegeben.

Muriel, alle persönlichen Unzulänglichkeiten und äußeren Schwierigkeiten sind hier willkommen, ja äußerst hilfreich, königliches Signum des hellen Vorgangs, ein im Grunde willkommener Ausfall, vorsätzlicher Mangel, ursprünglicher Defekt, strebende Fehlfarbe in aufsteigender Reihe.

In den Millionen Jahren der Lebensreise der eigenen Art kam dieser hominide Fall bislang nur zu einer künstlichen Beleuchtung, einer unerotischen Ordination zwischen den Beinen und zu einer philosophischen Affäre unter der Schädeldecke des Sapiens, ortsansässig eingezäunt und römisch zivilisiert, wuchernd privatisiert in schwindsüchtigen Gettos für eine im Grunde extrem kurzsichtige, ja nur dinghafte Luxusklasse von kriegerischer Hochfinanz, eine tuberkulöse Bilanz von Geizhälsen, das Dasein aushöhlend zu einer einfältigen Formel, ein dürftiges Geschacher mit Münzen, nach dem Diner strapaziös, langweilig, ermüdend und in der Morgendämmerung leichenblass." 

J.G:

Freitag, 17. Oktober 2008

seit vier

milliarden jahren
blaue brandung in den zellen

J. G: 

"Die Leute glauben einem nie" 
J.D. Salinger

Dienstag, 14. Oktober 2008

Lebenswert

Geld ist die erste Substanz eines Unternehmens, so wie Materie handelbar erste Substanz der Entstehung der Welt war.

Jedoch sollte man, was den langfristigen Erfolg eines Unternehmens betrifft, unterscheiden zwischen Geld und "ursprünglicher Kraft" eines Unternehmens."

J.G:

Dienstag, 26. August 2008

sunset boulevard



"Meine ganz private Vermutung bleibt, hier haben wir es mit einem schwarzen Arbeitskasten unbewusster Administration zu tun, aus dem Licht weder raus noch rein darf. In langen Fluren und völlig abgeschirmt vom eigenen Lichteinfall wird das souveräne Haupt der Zellen rund um die Uhr mit einem eisernen Katechismus messender Religiosität rational für Arbeit und Konsum dienstbar gemacht.

Was immer das auch sein mag, doch dieses zivile Maß frömmelnder Primaten besteht in der gesetzlich verordneten Vorschrift, zwanghaft ganze Lebensgenerationen  arbeitend zwischen Null und Eins hin und her rennen zu lassen, obwohl es doch schon die Spatzen von den Dächern pfeifen, das alles eins und jedes beides ist.

Eine halsbrecherische Klettertour, die ich Ihnen zumute, sozusagen eine erhebliche Sondervorstellung liebender Substanz an beiden Orten gleichzeitig zu sein. 

Es ist so, als würden sie von allen Zellen, aus denen die Evolution sie im Laufe von 4 Milliarden Jahren zusammengesetzt hat, und das sind nicht wenige, nach Auskunft der universitären Elite sollen es 100 Billionen davon allein in einem Körper sein, als würden sie also von allen Zellen ihrer Lebensmaterie die alte Projektionsfläche, die Zellmembran entfernen, so wie die Projektionsfläche in dem Kino, in dem Sie gerade Platz genommen haben.

Eines kann ich ihnen versprechen, langweiliges Abonnementtheater ist dies gewiss nicht, eher könnte es zu einer Aufführung auf dem eigenen Sunset Boulevard werden.

Allerdings, dies will ich vorsichtig formulieren, bei der ersten Aufführung dieser Art, würde ich erst einmal mit keinem ausverkauften Haus rechnen. 

O.K., ich sage ihnen die Wahrheit, das ist für die weitere Reise nicht nur in diese Zeilen unerlässlich. In den ersten Hundertmillionen Aufführungen werden sie am Eingang keinen einzigen Besucher begrüßen können. Den einzigen, den sie als Gast in ihrem eigenen Kinotheater sehen werden, sind sie selbst.

Das heißt nicht, das sie allein sind, keineswegs. Sie sind bei dieser Aufführung ohne Leinwand angehalten beides zu sein, beides gleichzeitig, ganz simpel, so wie es in der ursprünglichen Fassung der Entstehung des Lebens im Drehbuch steht, Schauspieler und Publikum, Teilnehmer und Beobachter, Einzeller und Mehrzeller, Mensch und Gott in einer Person. 

In dem engen Maß ziviler Verfassung ergreift uns zumeist in der Nähe einer solch masselosen Identität, ein sehr befremdliches, haltloses, schwindelerregendes, ja zutiefst ängstliches Empfinden, ein irrsinnig machendes Gefühl wahrer Unwirklichkeit, mit dem wir den Kochtopf unseres schlichten Daseins unglücklich befeuern. 

Gleichsam kommt es vor, dass die politische Spezies des mentalen Zwielichts, diese unmittelbar, an das Herz klopfende, helle Nachbarschaft, beides gleichzeitig zu sein, ruinös ignoriert und mit der akademischen Beschriftung von Sinnestäuschung, Trugbilder, Irrlichter, Phantasmagorien, Hirngespinste, Delirien, Illusionen, Chimären, in das zivile Gruselkabinett der Halluzinationen abheftet. Das sieht nach einer ziemlich schlecht bezahlten Anstellung in Zeit und Raum aus, nach einer erbärmlichen Position in dem Unternehmen „Arbeit macht frei“, einem mentalen Vorposten, der sich in dem engen, zerebralen Zirkus Jahrhundert um Jahrhundert in einer Gemeinde von Ignoranz und Torheit, in dem engen Kästchen Lebenstod, selbst gefangen hält.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich an dieser Stelle der Geschichte auf sie keinen vertrauenswürdigen Eindruck mache und als Mitglied der Spezies des Homo Sapiens doch einen recht unvollendeten Blick auf den Zustand meiner abgestammten Art zulasse. 

Doch ich habe ihnen bereits zu Beginn meiner Erzählung versucht mitzuteilen, dass auch an mir die Ahnung, es könnte eine kosmische Konstante den Ablauf des Alltags unmittelbar bestimmen, Spuren hinterlassen hat."

  ©   by  J. G:

lichtfallen


"Nur einmal ist es mir bisher gelungen im Niederfahren in das Lilienweiß der Augen des Geschöpfs zu blicken und dieses Gloria, dieser ungeheuer strahlende Stillstand von allem, diese alles durchdringende bewegte Unbewegtheit als Lichtsatz irgendwie Halsüberkopf in meine Kamera zu schaffen. 

Vor der Veröffentlichung der Zeilen dieses Buches habe ich arg gezaudert, ich gebe es zu, ich hatte Angst, große Angst, eine alte Kinderkrankheit des erwachsen Lebens vor sich selbst, die Angst, dass diese feine Porzellantasse, bevor man auch nur einen Schluck daraus genommen hat, auf dem Transport vom Mündungsdelta in die Metropole, zu Bruch gehen könnte. 

Ich muss ihnen gestehen, meine Billionen Zellen drohten nicht nur in langjährigen, mühevollen Behördengängen des industrialisierten Daseins vorzeitig in der freudlosen Mechanik der Arbeit zu erstarren, sondern in dem Herumirren in trüben Verwaltungsschächten bemerkte ich auch bei dem Versuch die diaphane Kostbarkeit wohlbehalten durch Zeit und Raum zu tragen, eine schauerlich verschulte Herrschaft, die unermüdliche dabei ist, meine kindliche Neugier im Staub der Anweisungen und Verordnungen zu beerdigen. 

Mit Übermut und Leichtsinn überspringe ich seit vielen Jahren diese morsche Sprosse am Stammbaum des Sapiens mit aller mir aus Kindertagen noch zur Verfügung stehenden Freude am Dasein.

Es ist für die Quantenkatz, eine ewige Dummheit der unbewussten Art, sich selbst überzeugen zu wollen. Ein ruinöses Verfahren staatlicher Verwaltung, das lebendige Gold behördlicherseits genehmigen zu lassen, damit es privat endlich glänzen kann.

Ich habe mich entschlossen, das Bild werde ich trotz aller Bedenken, in diesem Winter veröffentlichen, denn schon beim Entwicklungsvorgang im Labor, als das Bild wie aus dem Nichts aus der Tiefe des Zellvakuums auf mich zuraste, sah ich mich vertikal in der Erdmitte nach oben hin in dem hellsten der drei uns bekannten Himmel festlich belichtet. 

Das Gefühl herrlich verletzt zu sein, ragt seit dem Anblick dieses Bildes aus meinem linken Schulterblatt wie ein Pfeil, der mich von vorn im luxuriösen Fall durchbohrt." 

  ©   by  J. G: 

Donnerstag, 10. Juli 2008

im indianerland

fliegen die Blendwerke auf.

Das Theater "Arbeit macht frei" ist insolvent.



Keiner will mehr das tödliche Spiel mit den einarmigen Banditen.
Keiner.
Keiner will das ruinöse Kapital „Lebenstod“ in seinem Besitz.
Keiner will mehr mit dem Gewinn aus abgerissenen Beinen und Armen, aus zerstörten Familien und toten Seelen seinen Kindern Teddybären kaufen.

Kein Mensch auf diesem Planeten will das.

   ©   by  J. G: 


J.G:

alltägliches


"Der heilige Rauch
webt mit goldenen Fäden
achtlos meinen Kokon" 

J.G:


Sauerstoff verfliegt.
Der Äther des eisernen Lebens.
Übergang.
Jetzt.
Beides atmen.
Tiefer und tiefer.
Noch tiefer.
Jetzt.
Höher hinauf.
Über den Horizont hinaus.
Bei Atemnot und Herzstillstand.
Ins Freie.
Atme.
Licht holen mit den Zellen.
Lebenstod verschwindet.
Alles Sein Werden.

J.G:



Donnerstag, 26. Juni 2008

public viewing

das spiel ist öffentlich

Der einfache Mensch erkennt in seinem lichten Einfall, hinter den monetären Raketenabschussrampen, dass die feudalen Erlasse zum „Sparen“ mit eiskalter Tinte geschrieben und in dem lichtlosen Alphabet unbewusster Macht „rechtens“ postiert und mit rechnerischem Kalkül in Stellung gebracht sind. Feuer frei, rufen die Barone mit ihren taktischen Atombomben. Doch es gibt keine Untertanen mehr, die blind ihr eigenes Grab schaufeln.


„Die Welt bleibt wie sie ist, es sein denn,
der Mensch ändert sich“
S.A Goshe


Beleuchtungskörper
Weltumspannend.
In allem ist alles gewendet.
Zum eigenen Licht hin.
O unsterbliche Physis.
O Seele mein.

Die dienstliche Anordnung zur Grablegung des Menschen ist aufgedeckt.
Die innere Sonne umrundet.
Die zweite kopernikanische Wende abgeschlossen.
Der helle Stern, der schöpferische Wille, erscheint auf der Bühne des Welttheaters.

Dieser Lichtsatz überholt leichtfüßig das versagende, analytische „Verstehen“ des Sapiens, das so hilflos korrupt dahin debattiert, Krieg, Gewalt und Elend am Leben nicht zu beenden weiß.

Alles liegt klar und deutlich auf dem Tisch.
Alles ist öffentlich.

Zweifach eins. 
beides."

  ©   by  J. G  , aus "Schlamm des Lotos"

Donnerstag, 19. Juni 2008

überhaupt

" All die leiblichen Anstrengungen meiner irdischen Lebenslinien führen mich immer wieder blind sehend zu jenem herrlich schwankenden Untergrund, der mich, reißt der Himmel dann endlich in mir auf, nach unten in einen glühenden Palast leuchtender Sterne blicken lässt.

Die innere Führung ist bisweilen so etwas wie ein immer wiederkehrender autistischer Anfall, ein völliges Versagen der Funktionen der eigenen Art, der heimliche Versuch eines „Überhaupt“, das Dasein auf zwei Beinen und einem roten Herz in der Brust gesund ans diesseitige Ufer der Friedfertigen zu bringen.

Der Vorgang gleicht einer immerwährenden stillen Besichtigung, einer nach innen sich ausdehnenden unendlichen Weite, die einem den Hauch von Einverständnis an die Herzkammer zuflüstert, dass es gut ist einen Schritt nach vorn zu machen und sich über den Horizont der alten Welt zu beugen und zu erkennen, dass die Reise weit und weiter geht. Das es gut sein kann Herauszufallen aus dem Rahmen, der das kleine und große Leben ausschließlich in Beziehungen denkt, dass es in allen weiteren Fragen des Zusammenlebens heilsam ist, sich am Auflösen des Schemas der Kriege und der Gewalt am Leben mit einer inneren Kehrtwendung und erhobenen Armen zu beteiligen.

Sie können es mir glauben, hätte das heimsuchende Leben in jener Nacht nicht diese Autofahrt vorgesehen, dann hätte ich mich wahrscheinlich noch erfolgreicher in der Großstadt der Geschlechter verirrt oder hätte aus dem Gefühl des Versagens der gesamten Evolution vielleicht irgendeine Sammelleidenschaft begonnen."

aus: Licht den Tagen   


©   by  J. G:

Mittwoch, 18. Juni 2008

das

"Heute, in meiner Dunkelkammer des Lichts, bei der Entwicklung des gesamten Lebensvorganges in meinen Fotos und Bildern, bemerke ich allerdings weithin Offensichtliches.

Davon will ich sie, verzeihen sie dieses kindliche Geltungsbedürfnis, aufrichtig in Kenntnis setzen.

Was auf der molekularen Außenseite, auf der Membran der materiellen Sinnlichkeit, in der kristallinen Kopie von Leben, auf der sittlichen Informationsfläche als beängstigendes Abbild des Hierseins eingeätzt erscheint und allem Lebendigen Angst und Schrecken einjagt, ja zutiefst dem Scheitern des Hohen Liedes der Liebe schmerzlich und treu bis ans Ende der irdischen Tage hinterher jagt, dieses „Das“ passiert in einer glühenden Verborgenheit, einer in sich still leuchtenden Tiefe direkt unter meiner Haut als etwas unsterbliches den inneren Horizont meines physischen Körpers.

Immer, wenn ich das innere Erleben der Dinge in den zwei Dimensionen des Abbildes aus dem Chemiebad meines Fotolabors ziehe und im diffusen Rotlicht den ersten Lichtfall der Materie auf meinem präparierten Papier einlenke, steigt das glühende Bild aus Kindertagen in mir auf und ich fühle mich einbalsamiert, in allem so nah, so unglaublich heimwärts."

J. G:

Montag, 26. Mai 2008

o flammende helle

du goldenes licht
regen des himmels
küsse mich
.
~
J.G:

auflösung des chitinpanzers

"Die dreipfündige Wachstube des Sapiens, dieser so junge Zellhaufen am irdischen Stammbaum der Evolution, scheint bei dem Versuch, das gesamte Szenario mit elektrischem Zucken und Zappeln vermitteln und kategorisieren zu wollen nicht nur, ich muss es hier einmal nicht ganz wertfrei formulieren, übermotiviert und eingebildet, sondern auch schlicht überfordert zu sein

Die gesamte lebensbiologische Verkehrslage kollabiert regelmäßig sexuell an dieser Kreuzung wie ein finnischer Liebhaber bei dem Versuch bei all der kosmischen Ausdehnung im Alltag nüchtern zu bleiben.

Vor der Veröffentlichung der Zeilen habe ich arg gezaudert, ich gebe es zu, ich hatte Angst, große Angst, eine alte Kinderkrankheit des erwachsen Lebens vor sich selbst, die Angst, dass diese feine Porzellantasse, bevor man auch nur einen Schluck daraus genommen hat, auf dem Transport vom Ursprungstal in das raue Leben zu Bruch gehen könnte.

Ich muss ihnen gestehen, meine Billionen Zellen drohten nicht nur in langjährigen, mühevollen Behördengängen des industrialisierten Alltags vorzeitig in der freudlosen Mechanik der Arbeit zu erstarren, sondern in dem Herumirren in trüben Verwaltungsschächten bemerkte ich auch bei dem Versuch die diaphane Kostbarkeit wohlbehalten durch Zeit und Raum zu tragen, eine schauerlich verschulte Herrschaft, die unermüdliche dabei ist, meine kindliche Neugier im Staub der Anweisungen und Verordnungen zu beerdigen.

Mit Übermut und Leichtsinn überspringe ich seit vielen Jahren diese morsche Sprosse am Stammbaum mit aller mir aus Kindertagen noch zur Verfügung stehenden Freude am Dasein.

Es ist für die Quantenkatz, eine ewige Dummheit der unbewussten Art, sich selbst überzeugen zu wollen. Ein ruinöses Verfahren staatlicher Verwaltung, das lebendige Gold behördlicherseits genehmigen zu lassen, damit es privat endlich glänzen kann."

aus: Licht den Tagen   

©   by  J. G

to divine

"Die kleinste Division in der größten Ausdehnung ihrer Schwingungszahl, die poetische Differenz im Lichtsatz kosmischer Einheit, das physischen Quantum, radioaktiver Übertragungswert alphabetischer Niederkunft, keine Frage, ein Wunderpunkt, will als funkelnde Silbe in uns bemerkt sein und zu Wort kommen." J.G:

das spezifische Gewicht

"Die Polizei in diesem Dorf regelt seit einigen Jahren überwiegend nur noch den Verkehr, denn es gibt im ganzen Landkreis dieses Dorfes praktisch keine Kriminalität mehr. Im Gemeinderat hat man sogar einmal den Antrag gestellt, es war Montagmorgen, die Polizei ganz aufzulösen und aus der Polizeistation eine Kneipe mit dem Namen „blauer Delphin“ zu machen.

Einer technischen Panne habe ich es zu verdanken, dass ich diese Tage im schottischen Dauerregen auf die Habenseite meiner Biografie verbuchen kann. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, dass ich am Sonntagmorgen mit einem weißen Indianer ganz allein vor einer schottischen Kneipe stehen und den Mond anschaue würde.

Sie müssen es mir glauben, aber in einer Kneipe vor den Hochmooren der Highlands geht es zu wie in dem Gemenge eines Rugbyspiels. Nie und nimmer hätte ich gedacht, dass man das länger als eine Stunde aushält.

Umgeben von hochprozentigen Schlachtgesängen und undurchdringlich heißen Milchnebeln wurde ich so gegen halb vier von einem dichten Gemenge an den äußeren Rand der schottischen Galaxie gedrängt. Und wie aus dem Nichts tauchte plötzlich vor mir Mathew McIron auf.

In meinem Vorbeiflug hörte ich wie aus seinem Munde ununterbrochen ein melodisch pulsierender Sprechgesang strömte. Noch bevor ich überhaupt ein Wort verstehen konnte, trieb mich das Spiel der kämpfenden Herzen aus den gälischen Obertönen wieder hinaus in die raue schottische See.

Immer wieder wurde ich von dem schottischen Gebräu in die Weiten des Kneipenraumes hinausgeschleudert, nur um wieder und wieder wie auf einer Pilgerreise in einem kosmischen Strudel an McIron vorbeizudriften.

Stunde um Stunde nun umkreiste ich wie ein Wallfahrer den weißen Indianer, so wie die Moslems seit Jahrhunderten den schwarzen Stein.

So warf sich mit meiner Teilnahme an dem Ereignis eine erste Morgendämmerung im Funkenflug kleiner Wortfetzen elliptisch auf meinen Lebensfilm so wie Lichtteilchen sich den blanken Spiegeln von Radioastronomen aufleuchtend hingeben.

Nach all dem Tosen in der schottischen Nacht stand ich am Morgen auf einmal ganz allein neben McIron. Der Mond stand noch warm über den grünen Hügeln und er sagte: Da, der Mond, das reicht mir."

    ©   by  J. G: . aus: Licht den Tagen...

Vertrag ohne Unterschrift

"Wenn sie an dieser Serpentine des von mir aufgestellten Alphabets das Gefühl haben sollten, ich verstehe diese wirren Zeichen auf diesen elektronisch aufgestellten Seiten nicht, dann blättern sie lose darin herum, oder überschlagen einfach die eine oder andere Seite, sparen sich die elendig langen Ausführungen und kommen gleich auf die eigene Anhöhe des Unerlässlichen.

Schlagen sie die Seiten zu und blättern sie einmal zwischen ihren eigenen Aufzeichnungen, Notizen und Einkaufszetteln. Nachdem sie dort fündig geworden sind gehen sie ein paar Schritte spazieren und vergessen sie die ganze Sache für ein paar Stunden oder vielleicht sogar für ein paar Tage. Dann, an irgendeinem trüben Montagmorgen schlagen sie die Seiten, die sie vor Tagen verdrossen zugeklappt hatten, einfach wieder auf, irgendwo, und setzen die Fahrt ins Sonnengelbe bedenkenlos fort.

Ihre eigenen Aufzeichnungen aus den Urgründen des Alltages und der Entstehung der Welt in der einen Hand, in der anderen die aufgeschlagenen elektronischen Seiten. Sie werden jetzt feststellen, dass sie von wunderlichen Zeichen übernatürlicher Vermessenheit umgeben sind."

J.G: aus: Licht den Tagen voran

zum goldenen tiger

hopse
gefällt mir gleich
das wort auf der ersten seite
lese ich auf dem kurzen weg zum friseur
ein kinderbuch

der kleine buchhändler mit dem silbernen ohrring sagte
es bestimmt fünf mal hintereinander
ein trauriges buch, ein trauriges buch
es ist das erste buch
das den platz im regal frei macht

der alte mann nun mit fast 80 jahren übt weiter
ohne ochs und esel
hopst entlang der gründgenskante
und dankt mehrmals täglich brennend ins freie
alles auf einem bein

herr advokat
kennt die eisenbahn
und die langen tunnel hinter den bahnhöfen dieser welt
ach was, ich mach mir keine sorgen um ihn
schäumt er sich doch schon seit jahren den
rasierschaum mit einem warmen dachshaarpinsel
im tunnellicht der sockelheiligen prags
halbherzig ums helle gesicht, da strahlt nicht nur ein
zigeunerlicht
am ende des langen eisenbahntunnels
sondern man strahlt auch selbst bei der ankunft
wie die auslage eines augsburger juweliergeschäfts

onkel pepin strahlte schon lange vorher
es wird was mit unserer liebe
knipste er in die öhrchen der damen

und am ende seines lebens flüsterte er es auch
seinem könig ins ohr
es wird was mit unserer liebe

jetzt flüstert auch der herr advokat etwas
auf das vertikale notenblatt

mein großvater mütterlicherseits
josef schmidberger
bierbrauer aus schwarzenbach in niederbayern
der ahnte es auch, schrie aber laut
ewiges band
wie bindest du heute meine hände
brüllte er über den rangierbahnhof
als eisenbahnbeamter ohne kaiserreich
ganz fern der heimat
kam er beim rangieren
mit beiden beinen so unter die räder
dass die angehefteten zettel
an der holztür des güterwaggons
zu seinem einzigen halt auf dieser welt wurde
und er ihn als teilstück für´s ewig ganze
in einem jämmerlichen fall abriss und ihn als beweis mitnahm
hbf darmstadt
100 faß spatenbräu a 50 liter

volle regale, herr advokat
keine leeren gipfel
beweise, herr advokat, beweise, keine indizien

dem in ihrem fall eingesetzten vorsitzenden richter
ist es wurscht, wo, wann und wie sie ihre beweise sammeln
ob auf leisen zehenspitzen im fünften stock
des nicht schwindelfreien weltraumfahrers kafka
oder laut liebend
über der ewigen bierlache zum goldenen tiger
hauptsache mit einem ordentlichen schluss
und dann weiter
.
~
J.G:
Hommage an den tschechischen Schriftsteller Bohumil Hrabal

Montag, 14. April 2008

so wie es mir gefällt

„Im letzten Akt, in der Vorbereitung auf die unerlässliche Szene, die zur vergnüglichen Eintracht der gesamten Gesellschaft, Schauspieler wie Publikum führen sollte, bekam ich unerwartet meinen zweiten Auftritt, den ich dem geplatzten Hosenband des Herrn zu verdanken hatte.

In Aufbietung meines gesamten Mobiliars menschlicher Verbrüderung sprang ich wie vom Blitz getroffen mit einem überschäumendem Tatendrang der Hingabe an die Harmonie des Lebens wie ein schottischer Schafsbock auf die bedeutungsvolle Lichtung der Weide der Liebe und war zutiefst gerührt und überwältigt von dem Anblick, der sich mir im letzten Akt darbot.

Erstmals sah mein junger Leib in einer fassungslos, brillanten Klarheit von der Innenseite der Weltenbühne freimütig in das Angesicht einer wahrhaftigen Welt.

In meiner unbändigen Freude der lebendigen Teilnahme am Geschehen erstarrte ich vor Glück und war einen ewigen Augenblick lang saumselig für das nötige Geschehen in der Dramaturgie des Schauspiels. Ich sah mit meinem Milchgesicht in das weite Rund des Theaters und eines der Wunder des Lebens breitete sich episch in seiner ganzen Pracht für nur einen Moment lustvoll vor mir aus.

In diesem stillen Glanz des Verlangens der Welt trat ich mit der ganzen Not eines Grünlings ahnungslos und mit glühenden Wangen vor den samtroten Rocksaum der Dame des Herrn.

Nun war der Herr der Dame ja nicht fort, wie bei der Generalprobe, in der ich die gesamte Rolle des Liebhabers zu spielen hatte, sondern der Liebhaber Höchstselbst stand in der entscheidenden Schlüsselszene mit gerissenem Hosenband bereit zur dramatisch gespreizten Liebesdeklamation.

Der Liebhaber jedoch verschwand auf dem Höhpunkt des Schauspiels plötzlich von den Brettern der Welt. Wie von einem schottischen Blitz getroffen eilte er peinlichst betreten mit einem von seinem Diener unglücklich über ihn geworfenen Mantel von der Bühne.

Stattdessen kniete ich wie von Zauberhand aus dem Nichts geschaffen vor der Dame des Herrn, so als hätte Schauspielmeister William sich im letzten Augenblick doch noch kurzerhand für eine Änderung des Manuskripts entschieden.

Das Bild muss erbärmlich, ja jämmerlich ausgesehen haben und doch bin ich zurückschauend beruhigt. Sind es doch offensichtlich die unvorhergesehenen Ereignisse im Theater des Daseins, die bei allen Zuschauern des lebendigen Gemäldes, schlagartig in nur kurzer Zeit eine bis ins unendlich hineinreichende Raserei von Frohsinn und Begeisterung auslösen.

Ausgesehen muss ich haben wie der heilige Antonius zu Füssen des Herrn Jesu im Beisein seiner Geliebten Maria, derentwillen er ja später auch aus dem Grab auferstanden ist, weil sie ihn so überirdisch geliebt habe, als ich Jüngling und nicht der Herr der Dame die Worte sprach.

„O Madame, sie schon immer göttlich
und alles ich noch Mensch“

Das im Welttheater der irdischen Provinz versammelte Publikum vergnügte sich zu meinem Behagen gelungen und dabei herrlich frei an meinem Kniefall und johlte über die ungeahnte Hochzeit in einer vor Beglückung trunkenem Wahn.“ 


©   by  J. G:


Sonntag, 13. April 2008

am fluss


„Schon gleich in der ersten Zeile
musst du ihnen in den Schritt greifen.“ J.G.


"Wenn sie mich fragen, „ich“ das sind die Leute, im Grunde die ganze Welt.

Ich traf Felix.

Er fuhr mit einem alten Rennrad den Strandweg entlang.

Ich rief: Felix.

Er schaute sich um und rief: Hey John.

Er stieg ab und kam groß und stattlich auf mich zu. Ich hatte ihn gut 3 Jahre nicht gesehen, er hatte offensichtlich gut gelebt und dementsprechend etwas an Umfang zugelegt, aber nicht zu viel.

Mit ihm fuhr ich vor einigen Jahren aufs Schloss und von dort nach Prag ins „u slateho tigra“, zum goldenen Tiger, zu meinem literarischen Ziehvater.

Bei unserem Aufenthalt im Schloss gab es ein Konzert im großen Saal, dort wo sie zu DDR Zeiten Turnunterricht abhielten und wo noch immer das Seitpferd wie ein quergelegter Sarkophag aus einer vergangenen Zeit schräg hinter dem schwarzen Flügel magnesiumbedruckt thront.

In diesem glänzend verstaubten Raum spielte Felix australisches Schwirrholz. Mit diesem Instrument begleitete er den jungen Goethe bei einem improvisierten Klavierkonzert. Ein grandioses Konzert war das, das auf dieser Welt seinesgleichen sucht. Mein Freund Harry, der bei der Bank Derivate handelt und in den Pausen auf dem Klo Eichendorf liest, sagt dazu immer, gegen unsere Konzerte sind die Aufführungen in der Royal Albert Hall ein glatter Schiss.

Irgendwie hatte ich ein beruhigendes Gefühl als ich ihn anschaute, denn in seinen Augen atmete unter dem Horizont noch immer ein großes, leuchtend blaues Meer tief ein und aus. Seine Rastazöpfe hatte er wie eine karibische Sonneninsel unter einer dunkelblauen Mütze achtlos aufgesteckt.

Im Zeitraffer, zak, zak, zak, erzählte er mir von seinen amourösen Abenteuern und wilden Eskapaden der letzten Jahren, ganz so als stände die gesamte Erdgeschichte wie ein gewaltiger Fels vor mir und habe die ernsthafte Absicht lückenlos die Evolution der Arten mit ihren schillernsten Affären und ihren phantastischsten Tragödien in ganzen 3 Minuten in allen Einzelheiten ausführlich vor mir auszubreiten.

Eine gewisse Zeit, so gestand er, habe er unter dem Lebewohl seiner geliebten Doktorin gelitten, die er einen Sommer lang so heftig geliebt habe, dass am Ende alle Bilder der Imagination der Reihe nach von der Wand gefallen seien.

Seine zweite feste Liebe der vergangenen Jahren, eine rassige Frau aus Südamerika mit bis zur Hüfte reichenden schwarzen Haaren, sei leider auch verflossen so wie Amazonas in der Wüste Sahara nach der Kontinentalverschiebung des Urkontinents Pangäas.

Doch jetzt sei alles wieder so wie es sein soll, freudetrunken und fruchtbar. Die Damen flatterten wie bunte Fähnchen am dänischen Nationalfeiertag vor seinem Fensterchen hin und her und er brauche sie nur noch ordentlich zu bedienen, dann käme alles von selbst, so wie es sein soll. So könne er mühelose mit ein wenig tirilieren Tag und Nacht Hochzeit feiern ohne jemals zu heiraten.

Groß und breit standen wir beide bei diesen Worten recht dicht beieinander und staunten über die unverhoffte Begegnung, eine Art von Bewunderung des Lebens, eine tiefe Selbstbegeisterung im eigenen Leib, eine im Grunde bodenlose Einsicht des strahlenden Körpers in das große Ganze, das niemand wirklich tot ist, niemand.

Dann erzählte er mir noch, dass er, nach dem er mit einem Golf zwei Benz zerlegt, Fahrerflucht begangen hatte und zu zwei Monaten Knast verurteilt worden war. Ich fragte, ob er Aufzeichnungen gemacht hätte. Nein, sagte er, seine Arbeitgeber hätten ihm da großzügig mit Geld rausgeholfen.

Schade, sagte ich.

Es war erst halb zwölf Uhr am Mittag und sein Blick schwamm tief bewegt und frisch beglückt in jener jubelnd zärtlichen Umarmung nach der sich die ganze Welt jeden Abend und jeden Morgen so unendlich sehnt.

Wir verabschiedeten uns und jeder ging seiner Wege. Auf dem Rückweg machte ich gegen meinen Willen an der Strandperle halt und sah ihn hinter dem glaslosen Fenster des Ausschanks wieder.

Die Sonne hatte sich an diesem Frühlingstag hitzig über dem Hafen postiert und ergoss sich gleißend über Kräne, Schiffe und Wellen.

Strahlend begrüßte er mich, so wie er jeden Gast begrüßt, laut und leise, herzlich und am liebsten mit einem Weizenbier mit zwei Zitronenstückchen auf einer Kuchengabel aufgesteckt.

Ich sagte, dass ich Hunger hätte und nicht wisse was ich essen solle. Eine junge Frau, die neben mir stand, bestellte nach kurzem Zögern eine Bulette mit Kartoffelsalat. Felix bediente sie schnell und obendrauf, als Extra Portion, eine kleine lyrische Schmeichelei. So wie es sein soll, antwortete die junge Frau und nahm ihre Bestellung wie das Wechselgeld dankbar entgegen.

Für mich gab es eine Bockwurst mit Senf.

Gleich vorne setzte ich mich an einen Tisch mit vier Stühlen.

Es ist nicht üblich, dass ich zu solch früher Stunde Bier trinke und dazu noch Weizenbier. Bei einer heftigen Liebelei hatte ich mal zuviel von diesem gärenden Saft getrunken, so dass es im Morgengrauen nicht zu der erhofften Umarmung kam und es am Grunde meiner noch jungen Lebensphysik noch tagelang in mir weitergärte wie in alten Holzbottichen niederbayrischer Brauereien. Seit dieser nächtlichen Begebenheit meide ich solch maßloses Zeitnehmen an der Welt.

Doch mit seinem prächtigen Anwesen animiert mich Felix so sehr, dass ich alle gebildete Vorsicht vergaß.

Kaum hatte ich Platz genommen, brachte er mir ein großes, überdimensionales Fotoalbum, so eines hatte ich noch nie in den Händen gehalten. Das Album vermittelte von außen betrachtet einen stark abgegriffenen, vergessenen, ja einen archäologischen Anschein und durch seine Größe gab es der Stunde etwas geheimnisvolles, ja Märchenhaftes.

Ich schlug das Album auf und alles was ich an Lebensmaterie am Leib trug verschwand in der fotografischen Oberfläche wie in einem stillen See.

Von einer Sekunde auf die ander war ich verschwunden in diese, Album.

Heiter angelehnt an den ruhenden Himmel einer schottischen Landschaft begegnete ich Felix in einem jungen Lichtbild, in seinen ersten adonischen Jahren.

Ein Sommernachtstraum.

Auf den großblättrigen schwarzen Seiten des Albums waren ganz sorgsam und mit liebvollem Bedacht nur ein oder zwei Bilder aufgeklebt, nur weinige Male drei oder vier, am Ende des Buches auf der letzten Seite sogar zwei Farbbilder nebeneinander, die mich wundersam ansahen.

Sogleich holte ich mir von Felix mehrere Pappstreifen, die man für heiße Bockwürste braucht um sie anzufassen. Die steckte ich im Bereisen der schottischen Tage in die weißen Wolken des Albums, die Seiten mit den wundervollsten Aufnahmen.

Manche Bilder waren recht belanglos, ja wie man sagt trivial, nichtssagend, doch es war gerade das Nichtssagende, dass der Bilderreise den Zauber von naiver Anmut verlieh.

Es waren Bilder von Steinen, Felslandschaften, vom Meer, von Fahrrädern, Bilder von Hügeln, Bilder von Landschaften mit Zelten, Bilder von behörnten Kühen und alten, schlossähnlichen Gebäuden.

Bilder aus einer anderen Welt, Bilder, die man sonst nie zu sehen bekommt, nie, Bilder auf die man gewöhnlich 1000 Leben warten muss, Bilder aus dem ewig jungen Garten Eden, Bilder eines in sich verspielt, hell strahlenden Kindes aus Natur, Weib und ewiger Liebkosung.

In einem Lichtbild zeigte sich das junge Weib an einem Wasserlauf nackt auf einem Stein stehend, unverstellt, ganz und gar ohne Pose, ein tiefer Atemzug der Schöpfung.

Auf einem anderen Foto, gibt sich der junge Stier bacchantisch verspielt, zärtlich und stark, so wie es von Anbeginn in der Menschwerdung vorgesehen ist.

Die wilde Natur in ihrem schönsten Kleid wie auch die alten Gebäude mit ihrer Geste des historischen Verfalls von Epochen geben sich heiter und umranken das Lichtspiel königlich.

Mitten in diesem Reigen fiel jäh ein goldener Regen von leise flirrender Erinnerung herab, Pyritstaub aus den Anfängen der Erddrehung, eine physische Erinnerung in den Zellen des allgemeinen Körpers an den Ursprung des Daseins.

Blattvergoldet saß ich wie ein schöner Bilderrahmen an dem Tisch und war zur lebendigen Figur einer märchenhaften Reise geworden. Das Bier schmeckte mir und sogleich bestellte ich bei Felix ein zweites. Dazu legte er mir ein Buch als Zugabe auf den Tisch.

Es war ein Buch von mehreren Autoren angefertigt. Seine derzeitige Muse hat sich mit einer Erzählung darin verlustiert.

Ich las das Buch quer und kam auf den letzten Seiten zu den Texten einer polnischen Lyrikerin. In ihren Worten und so wie sie die Buchstaben auf den Seiten aufstellte erkannte ich eine gewisse Art der Anlehnung an den kosmischen Hintergrund, eine schiefe Ebene, eine geschwungene vertikale Linie von Hingabe an das große Ereignis, eine Begeisterung der blanken Materie im Sinne von „alles Liebe“, ganz so wie ich es zuvor in einem Lichtbild des großen, schwarzen Albums erlebte hatte.

Das Bild zeigte einen Raum, vielleicht ist es der Raum eines alten zerfallenen Schlosses, oder es kann auch ein verlassener Kuhstall gewesen sein, ein Raum in dem vier junge Menschen sich gerade mit ihren Habseligkeiten einrichten wollen, um im Übergang von der Nacht zum nächsten Tag zu bleiben.

Jeder bereitet sein Lager, jeder ist ganz in seinem eigenen Aufgang. Einer von ihnen kriecht mit dem Rücken zu mir auf allen Vieren, um seinen Schlafsack auszubreiten. Gegenüber an der Stirnseite lehnt eine Leiter, die zu einem geschlossenen Fenster hoch reicht.

Wenn ich das Besondere des Bildes beschreiben sollte, dann ist es das Licht. Es fällt, ja wirft sich geradezu herrlich durch den Raum, strömt wie ein durchscheinend funkelnder Fluss dahin, passiert alle Körper und Dinge und lässt sie geheimnisvoll schimmern..

Wundersam, alle Unterschiede sind verschwunden, obwohl doch jedes seine Form behält, der Schlafsack, die Räder, der Fußboden, die Leiter, das Stroh, der Mensch, das Fenster, alle sind gleichmäßig von diesem fallenden Licht durchdrungen und alle lächeln, alle.

Mit dem äußeren Anschein des Fotos tauchte unvermutet vor mir ein Geheimnis auf und mir schien, dass sich plötzlich in mir etwas entschlüsseln wollte, was ich seit Äonen nicht mehr erinnern konnte.

Materie ist ein Ereignis, ein lebendig, strahlendes Ereignis, eine bewusste Sensation.

Merkwürdig, mir war plötzlich so seltsam schwindelig, jegliche Lebensversicherung des messenden Verstandes schien mir abhanden gekommen, jeglicher Schleier kluger Unterscheidung von mir genommen, aufgehoben, so wie alle sieben Schleier der Salome.

Es war gleichzeitig bodenlos bestürzend wie himmelhoch berauschend erstmals unmittelbar tief in mir sehen zu können, wie der goldene Staub, wie der Lichtsatz von Bildern jede meiner Billionen Zellen des Körpers passierte, ja, im Grunde sahen sie mich an.

Ich blätterte mich weiter durch das Buch der Autoren und sah, dass die Texte von studierten Autoren nicht ausreichend versorgt waren mit diesem physischen Lichtsatz aus dem großen, schwarzen Fotoalbum.

Ganz so, als wenn die akademischen Häuser seit Generationen ignorant die falschen Belichtungszeiten in der Syntax lehren würden.

Völlig entblößt fragte ich mich beim Lesen all der akademischen Textzeilen, was uns die Prosa des Alltags eigentlich mit dem Wort „Schwanz“ und „Möse“ und „Mach sie mir eng“ mitteilen will.

Von Felix borgte ich mir einen Kugelschreiber und schrieb auf die letzte Seite

„Poesie ist Ursprung.
Universum nur der Knall“

Dann brachte mir Felix ein drittes Weizenbier.

Ich protestierte nicht und trank es brav.
Seit vielen Jahren hatte ich große Schwierigkeiten mich zu betrinken. Es gelingt mir einfach nicht, weder mit Wein noch mit Bier, schon gar nicht mit Schnaps. Überwiegend war ich in den letzten Jahren darauf bedacht einen klaren Kopf zu behalten. Nach der Durchsicht des großen Albums mache ich mir ernsthaft Gedanken darüber, ob das möglicherweise ein Fehler war.

Zwischendurch steckte mir Felix, der an diesem Vormittag einen sehr strebsamen Eindruck auf mich machte, eine auf einem Bestellzettel geschriebene Einladung zu einer Lesung am kommenden Donnerstag im „Wohl“ auf dem Kiez zu. Seine Muse, so wie er sagte, hat dort eine Lesung. Die Mutter der Muse hat sich auch angekündigt. Er erzählte mir mit seiner weltberühmten Geste welch bedeutenden Persönlichkeiten sich angesagt hätten. Ich fragte ihn, ob auch unbedeutende kommen könnten.

Noch bevor Felix mir ein Viertes hinstellen konnte, machte ich mich aus dem Staub. Am Museumshafen setzte ich mich bei brütender Hitze ins Auto und raste von meiner Bilderreise völlig trunken davon.

Kurz hinter der Ausfahrt wäre ich beinahe frontal auf ein Coupe aufgefahren, wenn mich nicht ein gewisser radioaktiver Zerfall aus dem großen, schwarzen Album blitzartig davor bewahrt hätte. Irgendwas riss den Wagen affenartig herum und so fuhr ich um Haaresbreite an dem linken Kotflügel vorbei. Mit einem wahrhaft flüchtigen Blick an das himmlische Wagendach bedankte ich mich. Dann ging es völlig entrückt und auf verbotenen Wegen ins Freie. 


 ©   by  J. G:

sapiens revue

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