"Mit meinen Eltern saß ich in der ersten Reihe auf der
Kirchenbank des kleinen Dorfes, als der Herr Pfarrer mir, dem kleinen Buben und
den vielen anderen Erstklässlern auf dem braunen Kirchengestühl, die weite Welt
da draußen erklärte und was wir alles zu lernen hätten, wenn wir am nächsten
Tag erstmals die Schwelle des Schulhauses betreten sollten.
Beim Vortragen seiner Rede lief er vor
meinen von der Kirchenbank baumelnden roten Lederschuhen mit den braunen
Bändchen auf und ab, so als eilte er mit wehendem Gewand verspätet aus dem
Pfarramt zum nahen Friedhof, um dann im selben Augenblick, nachdem er die Tür
zum Pfarrhaus zugeschlagen hatte, innezuhalten, mit dem Gedanken befasst,
Schulbuchstaben im Pfarrhaus vergessen zu haben, das Gesangbuch, den kleinen
Zettel mit dem Namen des Toten, so das sein schwarzer Kittel vor meinen
staunenden Kinderaugen hinter ihm her wedelte, so wie das süße Parfüm der Frau
Bäckerin, die uns kleinen Weltenwanderern im Gesang der Türbimmel jeden Freitag
im Dorfe die roten Kirschbonbons gütig über den Tresen reichte.
Im Innehalten drehte er sich auf seinen schwarzen Schuhen, die
an den Absätzen bereits krumm und schräg gelaufen waren, zu den versammelten
Lämmern und Schäfchen, zu denen auch ich gehörte, und erinnerte die
erwartungsfrohen Äuglein mit ihren kleinen Händchen um die Schultüten an das,
was es draußen in der Welt zu lernen galt.
Die Parade des Pfarrers wiederholte sich
mehrmals vor meinem klopfenden Herzen. Er eilte von rechts nach links, und dann
wieder von links nach rechts, um an den Kehren immer wieder inne zuhalten,
wobei das schwarze Gewand vom vielen hin und her am Saum ermüdet immer und
immer wieder über die schwarzen Schuhe des Herrn Pfarrer wischte. So hörten
meine kleinen Öhrchen eindringlich erstmals die Worte, dass man das Wissen der
weiten Welt nur erobern kann, wenn man am nächsten Tag damit begönne, in der
Schule eifrig lesen, schreiben und rechnen zu lernen.
Im eiligen Vorrüberhuschen des schwarzen
Himmels vor meiner neugierigen Nase, der Umarmung der süßen Welt mit meinen
kleinen Händchen, dem gütigen Blick meines Vaters zur linken und dem braunen
Mantel meiner Mutter zur rechten, sah ich wie die Schuhe des Herrn Pfarrer von
mal zu mal immer glänzender wurden, so wie die Sterne am Nachthimmel über dem
Bahnhof, in dem wir seit drei Jahren zusammen mit meiner Großmutter und meinen
drei älteren Geschwistern wohnten.
Da mein Vater bei der Eisenbahn
arbeitete und wir die ersten Jahre auf dem Bahnhof wohnten und ich einen der
Prominenten des Dorfes kannte, den Herrn Bahnhofsvorsteher in seinem blauen
Dienstjackett mit rotem Kragen und sechs silbernen Knöpfen, wusste ich schon
sehr früh, welches Handzeichen Züge abfahren lies. Man musste nur bei Ankunft
des Zuges dicht am Bahnsteig stehen, ein wenig warten, bis alle Fahrgäste ein
und ausgestiegen sind, dann ein kurzer Pfiff, die Hand in Richtung Lokomotive
heben und schon setzte sich eine lange, dampfende Eisenschlange auf Rädern
wundersam in Bewegung.
Als Zauberlehrling stand ich mit meinen
Kinderbeinen Sommers wie Winters bei der Abfahrt der Züge neben dem Herrn
Bahnhofsvorsteher und hob erst unbemerkt meine Fingerchen in meiner Hose, dann
später so hoch erhoben wie der Bahnhofsvorsteher meine ganze Hand, so dass
meine Fingerspitzen die drei Jahre der Lehre hochwanderten, von der roten
Hosennaht bis hoch zu dem zweiten silbernen Knopf an der blauen Jacke des Herrn
Bahnhofsvorstehers.
Drei Jahre ging ich bei dem Herrn
Bahnhofsvorsteher in die Lehre und am Ende meines Dienstes überließ manchmal
der Herr Bahnhofsvorsteher nach seinem Pfiff meinen leuchtenden Augen das
Abfahren der Züge mit den zwei Worten: Jetzt du.
Als der Herr Pfarrer an dem Tag des
kirchlichen Segens wie ein D-Zug rechts wie links an mir vorbei sauste und den
jungen Seelen auf den Holzbänken Anfang und Ende der Welt zu lernen gebot,
löste sich meine rechte Hand wie von selbst von der gelben Zuckertüte und erhob
sich wundersam mit den Worten zur Abfahrt: Kann ich." J.G:
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