Alle haben wir einen Zettel.
Große Momente und steile Abgründe sind darauf verzeichnet.
Ein Stück Papier, viele Leben, ein ganzer Kontinent.
Ein ganzes Sammelsurium von Kuriositäten und Sehenswürdigkeiten, Schicksalsschlägen und Wunder liegt wie ein ungepflügter Acker vor uns. Sehen wir uns die braune Erde genau an, so liegt die Krume mal freiwillig umarmt, mal schulisch verordnet, mal in Liebe hingeworfen auf dem Weltenkörper.
Alles ist auf diesem Zettel vermerkt, vom Anblick des dahin treibenden Planeten im All, dem Wunsch dort zu leben, von der Flut der Heringe und dem Einnisten in das Mutterkorn, bis zum ersten und letzten Atemzug Glückseligkeit.
Alles ist verzeichnet, von einem „½ Liter Milch, 1 Pf. Kaffee, Salat, Olivenöl, Blumen, Brötchen, Fisch, Wein“, über „Lisa hat Keuchhusten, bin beim Arzt“, bis zu „Freitag, den 16.9. Theater mit Luise, Sophie, Karl“, jede noch so kleinste müde oder helle Regung nach unten zur Grabsruh und nach oben in die sieben Himmel des Lichts, jeder noch so flüchtige Gedanke, jedes noch so zarte Gefühl, jede noch so schöne Empfindung, alles ist auf diesem kleinen Zettel vermerkt.
Eine herrliche Fahrkarte.
Auf deinem Zettel stehen: „ungewöhnliche Frau“ „wie alt“, „wie groß“, „gebunden“, „seltsame Erlebnisse“ und „aus der Tiefe schöpfen“ halbwegs und ortsfremd beieinander.
„Es regnet!“
„Ja, denke nur, es regnet“ Hamsun
Im angespitzten Beziehungsfeld der Geschlechter ist Ingeborg Bachmann bisweilen doch ein heller Wachposten. Lass mich eine Zeile von ihr aufs leere Blatt werfen. Vor vielen Jahren hat eine Freundin ein Buch über das Wasser geschrieben. Die einzelnen Kapitel hat sie mit Zeilen aus dem Gedicht "Böhmen liegt am Meer“ von Ingeborg überschrieben. Diese Zeile steht bei mir seitdem als heller Nachlass auf meinem Zettel.
„Ist alle Liebesmüh verloren, verlier ich sie hier gern“ I. Bachmann
© by J. G:
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