Dienstag, 8. April 2008

me we

Nach seiner Karriere als Boxer wurde Muhammad Ali zu einem Vortrag nach Harvard eingeladen. Am Ende seines Vortrages rief im ein Zuhörer aus dem Auditorium zu: „Ali, give us a poem!“ Er antwortete so schnell, wie er im Boxring zustach: „me we!“

Das kürzeste Poem der Welt.

Warum ist das so bedeutsam, was der Boxer an diesem Tag in den Brunnen der intellektuellen Elite Amerikas warf?

Der Philosoph Ernst Bloch schrieb zu diesem Entwicklungsgang in seiner Tübinger Einleitung in die Philosophie:

„Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“

Das Personalpronomen, das kleine Wörtchen „Wir“, hat eine exponierte Stellung im mentalen Werdegang eines wie der vielen „Ichs“.

Nach der kosmischen, der chemischen und der biologischen Evolution streckt die Spezies ihre kleine Nase erstmals seit gut, na, sind wir großzügig, seit einer Million Jahre in die nächste Etappe, der mentalen Entwicklung von Leben.

Wir, die Spezies Sapiens, sind sozusagen die ersten Zweibeiner, die herausgehoben aus der biologischen Evolution an dem mentalen Vorgang einer Individualisierung des Lebens teilnehmen.

Das Wir, der gesamte Vorgang und das Ereignisfeld von Leben, beleuchtet Sapiens mit der neu gewonnen mentalen Zentralperspektive der Evolution, mit vom übrigen Ganzen abgesonderten „Ich“. Mit dieser kleinen Lampe nun ist er seit tausenden von Jahren unterwegs und sucht in seinen kleinen und großen Gedankengängen nach einem bewussten Aufgang zu sich selbst und zu allen anderen.
Den, wie es sich herausstellte, ist diese Spezies als Einzelwesen nicht überlebensfähig und innerlich angewiesen das "Ganze" in sein kleines Ich mit Gedanken und Taten einzubinden.

Das Lebendige erscheint so als eine Konstante, ein hintergründiges, aber doch immer präsentes WIR, es scheint das Gewebe zu sein, was Leben überhaupt erst bewirkt. Das Wir als eine Wirklichkeit, als ein Zusammenwirken von vielen Elementen, Faktoren und Spezialisten, die die Spezies Sapiens, die Mensch werden will, mit dem kleinen Lämpchen Gedanken-Ich ausleuchtet.

Auch heute noch gibt es lokale Kulturen in der globalen Gemeinschaft, die extrem damit beschäftigt sind, Wir und Ich weiterhin in einen waffenstarrenden Wettstreit der Ideologien antreten zu lassen. Nicht nur Wirtschaftstheorien und Staatstheorien sind darunter zu finden, sondern auch Religionen binden die schöpferischen Kräfte in diese Polarität ideologisch ein.

So stehen sich Einheit und Vielfalt des Lebens in wirtschaftlichen, staatlichen und religiösen Systemen, gebunden in Ideologien und Religionen, als sich bekämpfende und ausschließende Gegensätze gegenüber.

Wieder einmal ist es die Kunst, die Dichter, die Musiker, die Maler, die Nomaden und Sternendeuter, die Auswanderer, die mit ihrem Ruf nach Freiheit Anstoß geben.

So beginnt die Verfassung der amerikanischen Nation mit einem satten „WE“

„Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, das allgemeine Wohl zu fördern und das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“

Wie lautet die Überschrift bei dem Volk der Dichter, Denker und Musiker?

Über dem Reichstag in Berlin steht „Dem deutschen Volke“.

Wer oder was ist das?

In der langen Reihe der Versuche, eine nationale Identität für Deutschland zu formulieren, findet man „Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden“, stößt man im schulischen Gemäuer auf „Wir haben wohl nicht aufgepasst, was?“ und schließlich endet die heroische Tat der Verschmelzung von Wir und Ich immer wieder in der Banalität des Bösen: „Führer befiel – Wir folgen“.

Wie also ist in der Epoche einer sich globalisierenden Welt das "WIR"mit einem "Ich-Leben" zu verbinden?

Wir sind gefragt!
Was ist also Wir?
Ich frage mich.
~
.
J.G:

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