Freitag, 3. Mai 2019

kein Vergleich

„Sitze in meinem Wintergarten und schaue nach oben an die träge dahin ziehende graue Wolkendecke. Der Tag neigt sich seinem Abendrot entgegen und mit dem Sprung in das private Wochenende versucht man zu retten, was im Vormärz an menschlichem Habitus noch zu retten ist. Das humane Restlicht kann ich dann am Samstag und Sonntag an den Küchentischen und in den Cafes verschenken.

Das soziale Gefüge des Zusammenlebens kippt auf den Straßen, Fabrikhallen, in den Büros und Hinterzimmern dramatisch in ein tollwütiges Hantieren am globalen Abzug. Auftraggeber und Kapellmeister dieser grassierenden Willkür sind die Barone, Lichtklauer, Mörder und Macher eines zügellos monetären Wachstums, dass das gesamte Inventar des Miteinander der Menschen mit einem börsenfingierten Entlassungsschreiben zerstört, dass alles liebenswürdige im aufkeimenden Lichthof des Lebens mit Stumpf und Stiel auszurotten beginnt. Dieses Mal nicht mit dem völkischen Ruf „reinrassig“, das wäre zu einfach, denn die „Banalität des Bösen“ kommt nicht zweimal in den selben Kleidern, sondern dieses Mal wird zum Fahnenappell des "Wachstums" der Zerstörung der Lebensgrundlagen mit dem politisch korrekten Waffenrock der „Konkurrenzfähigkeit“ gerufen.

Zeitweise fühle ich mich auf den Fluren und Gassen der Welt von einem rüden Verhalten genötigt, das den Lebenswert des Mitgefühls als romantisch angehauchte, nichtsnutzige Attitüde endgültig zu den Akten legt, um an der Rampe der Umsatzzahlen höchst effizient die „Leichen“ in den Wirtschaftsnachrichten ausschließlich als „grammatikalische Form“ zu klassifizieren.

In den Hinterzimmern meiner Nachtträume sind es immer noch die geifernden Mordbanden in den braunen Uniformen eines Tausendjährigen Reiches, die mich „Judas verrecke“ rufend zusammenschlagen. Bei Tageslicht huschen die legalen Falschmünzer aus ihren weißen Häusern vor die Mikrofone, um im Großauftrag kruder Gestalten, die Notwendigkeit des Erstschlages gegen das im Herzgrund frei lebende Wort zu propagieren.

Die helle Erneuerung der Welt, der Sturm und Drang des jungen Lebens, wird schon vor der Reifezeit, im zarten Alter auf den rüden Kinderstrich des "immer mehr" geschickt.

Der minderjährige Cocktail marschiert tollwütig im rappenden Stechschritt der Kopie der Kopie, vom Hungerlohn der Silos erblindet als köstlich gezuckerter Werbespot, modisch dressiert und medial elektrisiert im Millisekundentakt, in den schon weit aufgerissenen Rachen eines globalen Verteilungskrieges.

Runter geladen!
Counter Strike!
Wehrübung des freien Marktes.
Nur Spaß!
Reinrassig.
Konkurrenzfähig.
Guten Morgen Vietnam!
Gestern Bagdad.
Heute Paris.
Morgen du, Damaskus.

Begeisterung.
Hurra. Und heil.
Nur anders.
Ganz anders.
Kein Vergleich.

Die Mobilisierung im Verteilungskrieg um Land und Masse, Pelz und Position hängt bereits großformatig an den Litfasssäulen. Sie sticht dem Kunden mit dem spitzen Stift der Rendite bereits am Portal aufreizend die Augen aus, damit er  rauschhaft quotiert seines freien Willens entbunden, im nächsten Moment die ihn entleerende  Bestellung anklickt.

In der gläsernen Enge einer monotheistischen Wachstumskultur unterschreibt er am nächsten Morgen untertänigst geblendet das Großformat, das makellose Wunschbild, den schönen Abgott, die glänzende Uniform, das rettende Ufer des „haben-müssens“, ohne je einen der Buchstaben des Stellungsbefehls in den Schützengraben des leibeigenen Arbeitskonsums gelesen oder verstanden zu haben.

Akzeptieren.

Nicht mehr nur neun Stunden am Tag arbeitet der Angestellte, sondern der Bedienstete ist rund um die Uhr im säkularen Ablasshandel angestellt.

Neun Stunden steckt er für 8,50 € Mindestlohn grüne Briefe in graue Briefkästen und nach Feierabend arbeitet er das archaische Hormon der Angst des Überlebens, den Killerinstinkt nach dem ultimativen Kick, erschöpfend in der erodierenden Manege seines Verlangens nach Nichts ab.

Er arbeitet und arbeitet, konsumiert und konsumiert, doppelt und dreifach, darf sich demokratisch legitim religiös fromm und säkular ungezügelt verschulden, so viel er will, denn sein Kredit wird wunschgemäß im Kleinformat großformatig beworben und am Monatsende hämmert Inkasso an die Tür des Reihenhauses.

Weltweit wird sein Schattenriss gewinnbringend gehandelt, sein Profil wird verkauft und verkauft und verkauft und immer weiterverkauft. So wie es jedes Kleinformat in seinen kühnsten Träumen immer ersehnt.

Privatfernsehen.
Feudal demokratisierte Leibeigenschaft.

Am Küchentisch bekommt er dann übermorgen die Quittung.

Die Kids kündigen den genetischen Sozialvertrag, nennen dich nicht mehr Mama oder Papa, sondern Fotze, Alter, Wichser, klauen dir den Rest des Lohns aus dem Blechkasten, schnüffeln Klebe, treten den Klassenkameraden mit gezockten Stiefeln in die Fresse, stecken in den mondlosen Nächten Autos in Brand, rotten sich mit Fusel dicht, kiffen sich bis zum Morgen den Konsumschädel leer, um dann, auf dem Weg in die Lernkaserne, im Club der toten Dichter die Wortwaffe handfest in den blauen Himmel zu halten und durchzuladen.

Allgemeine Mobilisierung.
Nur anders.
Ganz anders.
Kein Vergleich.

Ganz anders als wir es aus den Geschichtsbüchern kennen.

Modern Talking.
Post moderne Mobilisierung von suizidalem Verhalten, dass am Ende der Einkaufsstraße als Maximalprofit, lebend oder tot, abgeschöpft wird.

Die Kasse stimmt.
Guten Morgen Vietnam!
Berlin ist dran.
Kein Vergleich.
Nur Anders.
Ganz anders.

Aus Geschichtsbüchern, Filmen und mündlichen Überlieferungen ist das Gefühl den heimatlichen Boden verlassen zu müssen noch wach. Eine Zeit vor der Machtergreifung des zeugungsunfähigen Höllenhundes steigt ins Bild, eine Zeit, als die kruden Banden die jüdische Bevölkerung und sonstiges menschliche Antlitz bereits durch die Straßen der Republik jagten und die feinsinnigen, kritischen, klugen, musischen Bewohner des Landes an den Küchentischen und in den Cafes über Widerstand und über eine Flucht ins Ausland nachdachten.


Quo vadis! Wo treffen wir uns!“

© 2008 J.G:

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