Montag, 23. August 2010

durchsichtig

"Verschämt hebt sich der Schleier"

Im Wehen des Windes fallen die Blüten und im Niedersinken von 1000 erröteten Wangen entflammt der Himmel den jungen Hügel vor dem Palast. Für diesen einen Augenblick finden sich die Familien nach dem Schmelzen des letzten Schnees im Frühjahr für zwei Wochen auf einer Insel im Pazifik unter Bäumen ein. Für dieses Schauspiel im Frühjahr kommen sie zusammen und setzen sich nieder. 

Und in einem Atemzug hebt sich der Blick der Achtsamen, öffnet sich die Mauer der Geburten, schwindet der Schleier des Sterblichen von den Augen der Beziehungen und Dinge und in 1000 Mandelaugen flimmert das Blütenkleid der Erde, neigt sich liebend zu sich selbst. 

Im Erfüllten streicht ein Lächeln des Unsterblichen über all die weißen Kniestrümpfe, die schwarzen Schuhe, die Picknickkörbe und bunten Wolldecken. Vor den Toren des alten Kaiserpalastes ist jetzt gegenstandslos zu sehen, warum sie alle gekommen sind: im Fallen der Blüten leuchtet die Welt." 

  ©   by  J. G:

Freitag, 20. August 2010

wahrheit

Der Mensch hat Freude daran, wenn etwas gut gespielt wird.
Krieg ist ein schlechtes, ein sehr schlechtes Spiel.

Sapiens verabschiedet sich.
Mensch grüßt freundlich.

J. G:


Atem

"Muriel, schon zu lange trägt die Spezies Sapiens zu schwer an dem Realen, kann bei all dem hin und her Denken in sich selbst nicht wahren was in ihm passiert, kennt die lichte Münze nicht, zahlt noch nicht bar der Kleinod schwereloses Zeichen, das Quantum, das Eins in Allem."

J.G:

Dienstag, 17. August 2010

helle saiten


"Das jeder Mensch sein Licht, seine Erde und sein Wasser erhält, seine Luft atmet, all die himmlischen Zutaten, und das er den Ort finden möge, den er für eine freie Entwicklung seines Wesen braucht, flüstert ihm die „helle Einfalt“, eine radioaktive Empfangsstation in seinen Zellen, die das Weltganze rund um die Uhr mit Begeisterung hört.“ 

Johan van der Leeuwen

Mittwoch, 11. August 2010

flug des flamingos

"Im Haus der weiten Welt erholt sich das ich und alles andere von den engen Fluren und schäbigen Klassenzimmern jeglicher Bevormundung. Da ist es egal, ob die Vorschrift aus dem Amt kommt, das Gebot von der Kanzel oder die Nachricht über einen elektrischen Apparat.

Mit all der beglaubigten Zuversicht, mit all der nützlichen Anstrengung, mit all dem vermögenden Versagen, mit all der glückseligen Freude und mit all der lohnenden Mühe, mit all den matten und glänzenden Speichen in diesem kleinen Räderwerk der Freiheitsliebe will die kosmische Provinz befahren sein, damit die weite Welt gehört und gesehen wird und das Unfassbare endlich tönend in uns passieren kann.

All dies soll geschehen, bevor Krankheit, Dummheit oder Unfall mich niederstrecken. So dass jenes Licht der weiten Welt mich passiert, bevor mir im bedächtigen Niedersenken der Lider in den kühlen Grund mir mit allen Ehren der umstehenden Nachrede die Tapferkeitsmedaille der kriegsversehrten Unwissenheit auf der kalten Brust das noch warme Herz verschließt

Am Nachmittag lese ich im Buch der Taugenichts und Nachtigallen, von all den Heines und Hölders, die mit dem reinen Strich halbwüchsiger Flammenzungen die eiserne Flinte des monetären Gebets frech, fromm und frei einzuschmelzen begannen.

Während die staatlichen Pulverrohre bereits mit Bleikugeln gefüllt auf die schwarz-rot-goldenen Fahnen angelegt wurden und die beauftragten Kirchenregimenter freiheitsgläubig aufblickenden Mägde, Bauernsöhne, Handwerker, Studenten mit ihren Litaneien schuldigst in die gefräßigen Mäuler des Fegefeuers trieben, hoben die klammen Dichter den feudalen Koloss des Grundeigentums an Leib und Leben mit ihren leichtschürzigen Versen an. Für das freigesinnte Volk beurkundeten sie aufs Trefflichste, dass es wahr ist, dass der liebende Vers im innersten Gemüt den eiserne Ring der Sterblichkeit löst und das so in Angst und Schrecken gehaltene Herz freigibt für das Unendliche, die Liebe.

Durch das Glas des Wintergartens schaue ich hin zu meinem privaten Horizont. Still drehe ich mich an diesem Nachmittag mit meinem Heimatplaneten um das Zentralgestirn. So sitze ich bis zur Dämmerung einfach nur da und versuche meine elektrisch beladenen Elektronen nach dem Lesen der Verse in einen gute Umlaufbahn zu bringen. Als die Welt an diesem Abend beginnt ihre Farbe zu verlieren, durchschweift ein zarter Strom, nur ein Hauch strahlendes Flimmern meine Zellen und eine wunderbar kindliche Passivität erwacht in meinem Körper, die das Restlicht aus dem Hintergrund des Universums widerstandslos in mir passieren läßt.

Ich langte in meine linke Hosentasche und holte einen kleinen, zerknüllten Zettel hervor, hielt ihn in meinen Händen, drehte ihn mit Daumen und Zeigefinger beider Hände hin und her und je länger ich ihn hin und her drehte, mal mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, mal mit der linken, bemerkte ich, wie in der langen Weile des Abends Punkt, Komma, Strich und ich verschwand.

Von dem, was da vor sich ging verwundert, drehte sich der Zettel in meinen Händen weiter in den Abend hinein und im Drehen und Starren und Drehen und Starren erhob sich in mir aus dem Nichts ein Massiv ungeheurer Ahnung.

Der kleine Zettel hatte seit den Nachmittagsstunden in meinen Händen die Form einer kleinen, weißen Wolkenmurmel angenommen, die ich aus der Abgeschiedenheit des Nachmittags, ohne das es die Astronomen auf ihren Hügeln und an ihren Fernrohren auffiel, heimlich auf eine Sonnenbahn schob.

Im Drehen und immer wieder nochmaligen Drehen flammten plötzlich Zeichen auf, die aus dem Inneren des Zettels in den Raum schwebten und wie von Zauberhand wieder verschwanden. Zeichen, die keine Zeichen waren, so wie wir sie in den Schulen lernen, keine auf weißes Papier nieder geschriebene schwarze Buchstaben. Bei aller Liebesmüh ergab das in diesem Augenblick Erfahrene keinen Sinn für meinen kleinen Spiegel des Verstandes und auch durch das beschauliche Drehen des Zettels kam mir kein bekanntes Schriftstück aus dem Denkmal der Welt entgegen.

Will ich das Geschehen für mich und die Nachwelt beschreiben, wurde ich an diesem Nachmittag Zeuge eines beispiellosen Schauspiels, das sich nicht mit dem mir bekannten Alphabet erzählen lässt. Es waren Zeichen, die sich wie der weiße Zettel in meiner Hand nicht nur drehte, sondern, die wie kleine Funken, kaum sichtbar, aus dem Nichts hervorsprangen und ehe ich sie mit dem Alphabet meiner Schulbildung ergreifen und in den zivilen Kanon des Sapiens einzuordnen versuchte, verschwanden sie auch schon wieder, um in anderer Gestalt, an einem anderen Ort des nahen Raumes um mich herum wie Glühwürmchen wieder Zeichen gebend kurz aufzuflammen, um sogleich wieder direkt vor mir in einer unerreichbaren Ferne zu verschwinden. Dabei handelte es sich eher um einen seltsam anmutenden himmelwärts fallenden Flug weit entfernten Sterne, die sich erhobenen Hauptes jubelnd aus der Glut eines zügellosen Brandes in das sie auflösende Nichts stürzten.

Die noch junge Ausgabe meines irdischen Hirnkastens versuchte vergeblich die Zeichen zu lesen, versuchte den mysteriösen Vorgang zu verstehen, doch all die von Bäumen geschüttelte Weisheit, all die über die Generation erlaufenen Disteln, Stacheln, Dornen und Rosen in Füssen und Händen, all die im Kampf ums Überleben Erschlagenen, all das anstellig auf der Schulbank verordnete Lesen und Schreiben von verbeamteten Buchstaben, all die in den lichtlosen Nächten studierten Litaneien der Gebeine, all die präzisen Analysen und ihr immer um ein Schlag zu spät kommendes Uhrwerk, dieses gigantische Konsortium an Buchweisheit, Betriebsanleitung, all die radioaktiv zerfallenden Silben, all das reichte in diesen Abendstunden nicht aus, um das, was mich da passierte, für wahr zunehmen.

Mit den letzten Strahlen des Tages bettete mich das Abendlicht in den rosaroten Flug eines Flamingos, und mit dem seichten Schwingen der auf und nieder wogenden Flügel, kehrte ich mich von dem Übel des Verstehens ab, wandte mich nach vorn, zum Eingang des Nachmittags und drehte den weißen Zettel zwischen Daumen und Zeigefinger wieder und wieder wie ein gelangweilter Kaiser hin und her." J.G:

heimlich

Alle haben wir einen Zettel.
Große Momente und steile Abgründe sind darauf verzeichnet.
Ein Stück Papier, viele Leben, ein ganzer Kontinent.

Ein ganzes Sammelsurium von Kuriositäten und Sehenswürdigkeiten, Schicksalsschlägen und Wunder liegt wie ein ungepflügter Acker vor uns. Sehen wir uns die braune Erde genau an, so liegt die Krume mal freiwillig umarmt, mal schulisch verordnet, mal in Liebe hingeworfen auf dem Weltenkörper.

Alles ist auf diesem Zettel vermerkt, vom Anblick des dahin treibenden Planeten im All, dem Wunsch dort zu leben, von der Flut der Heringe und dem Einnisten in das Mutterkorn, bis zum ersten und letzten Atemzug Glückseligkeit.

Alles ist verzeichnet, von einem „½ Liter Milch, 1 Pf. Kaffee, Salat, Olivenöl, Blumen, Brötchen, Fisch, Wein“, über „Lisa hat Keuchhusten, bin beim Arzt“, bis zu „Freitag, den 16.9. Theater mit Luise, Sophie, Karl“, jede noch so kleinste müde oder helle Regung nach unten zur Grabsruh und nach oben in die sieben Himmel des Lichts, jeder noch so flüchtige Gedanke, jedes noch so zarte Gefühl, jede noch so schöne Empfindung, alles ist auf diesem kleinen Zettel vermerkt.
Eine herrliche Fahrkarte.

Auf deinem Zettel stehen: „ungewöhnliche Frau“ „wie alt“, „wie groß“, „gebunden“, „seltsame Erlebnisse“ und „aus der Tiefe schöpfen“ halbwegs und ortsfremd beieinander.


„Es regnet!“
„Ja, denke nur, es regnet“ Hamsun

Im angespitzten Beziehungsfeld der Geschlechter ist Ingeborg Bachmann bisweilen doch ein heller Wachposten. Lass mich eine Zeile von ihr aufs leere Blatt werfen. Vor vielen Jahren hat eine Freundin ein Buch über das Wasser geschrieben. Die einzelnen Kapitel hat sie mit Zeilen aus dem Gedicht "Böhmen liegt am Meer“ von Ingeborg überschrieben. Diese Zeile steht bei mir seitdem als heller Nachlass auf meinem Zettel.

„Ist alle Liebesmüh verloren, verlier ich sie hier gern“ I. Bachmann

  ©   by  J. G:

Donnerstag, 5. August 2010

o du


du goldenes meer
du rausch in hellem
flute mich
umamrme mich
küsse mich 
mit deinen zellen

so nah und hell
alles lebt aus diesem glanz
atmet licht
und atmet rosen

o ungeheure nähe fern
du und alles ich
mein heißgeliebter stern

so nah und leuchtend hell
das meer an seinem strand
und all die sonnen
himmelsland
wie der tag in seiner nacht
und alles ich in heller pracht

so nah und hell
alles lebt aus diesem glanz
atmet licht
atmet rosen

o ungeheure nähe fern
du und alles ich
mein heißgeliebter stern


J.G:

sandzeichen

einheilen

M. McIron




Handelsware

beides

J. G:

Kolonialwarenhandel


„Mit dem Prinzip der eigenen Vorteilsnahme
rottet Sapiens sich selbst aus“ 

J.G:

toter mann

sapiens
sieht nix
hört nix
nur ego
aus
ende
ich ich ich

J.G:

indianer

auf der Weide
im warmen Frühlingsnachmittag
lieben wir uns nahe bei den Pferden

Im grünen Gras verrinnt die Zeit zu Null
entschläft die Raupe

Im schwarzen Licht der Nacht
in all der redescheuen Bewunderung
teilt sich alles in Eins

Am Morgen dann
in der Früh
wenn die Spinne ihr Netz aufschlägt
erwacht der junge Leib
blinkt befreit
schlüpft an der Birke beflügelt aus

  ©   by  J. G: 

halber mond

o madame
sie da
ich hier
masselos 
das licht
madame wie schön sie sind
endlich im unendlichen
jetzt
da sich alles berührt
madame
kommen sie
schnell
umarmen sie mich

J.G:


in zeiten

wenn die fleischfressenden pflanzen
in den tropischen nächten ihre blütenkelche öffnen
das blattgold blendet
und die giftroten münder
sich mit kletterpflanzen an der hirnrinde festsaugen
straßenköter
die witterung für den augenblick einer rocklänge verlieren
paterreadvokaten
in der dürre ihrer 1000 frankenmoral ersaufen
der baron von rastignac in der königsloge
dem englischen drama applaus entzieht
da stieben kinder zum jahrmarkt
und springen barfuss auf das rote karussells

J.G:

ganz einfach

"Zur Spezies Sapiens gehört Krieg, die Gewalt, das Buch des Mordens.

Zum Menschen gehört das nicht"


Johan van der Leeuwen

sapiens revue

„Die alten Kaiser besetzten das öffentliche Wort negativ.  Die Neuen machen das auch. Mit Macht. Der Mensch soll tunlichst seine sterbliche ...