Samstag, 15. Dezember 2012

licht nährt von oben









zieht von unten ein

das mädchen traute sich an diesem morgen
nicht ihr kaninchen zu verkaufen

die menschen reden wieder miteinander beim einkaufen
z.b. „kommt der salat aus dem treibhaus?“
oder
haben sie noch büchsenfleischaus argentinien?“
auch „sagen sie, ist die h-milch alle“
kommt vor

im 1. stock des weißes hauses zurzel ich
mit meinem kanarienvogel
gebe ihm abgelaufenes leitungswasser
stecke ihm ein stück marienapfel an seinen käfig
gehe dann zum briefkasten und
erinnere reden zum feiertag
morgen ist himmelfahrt

lang hingegstreckt
mit beiden händen unter dem flurschrank tastend
bemerke ich eine zunehmende heiterkeit
in meinen händen
besonders auffällig vor verordneten feiertagen
ich nehme meine fünf homöopathischen tropfen
in der nicht ganz eingestandenen absicht
morgen höher zu reisen als all die anderen
dabei komme ich beinahe um
hänge mir schnell eine damenhandtasche
um meinen ehrgeiz
male mir die lippen flüchtig
scharre mit den vogelkrallen
picke nach liebe
ducke mich mehrmals und gebe dem käfig vor dem hoffenster
einen unbewohnten zustand

vielleicht sollte ich eine krawatte tragen
und sie mir von einer frau aussuchen lassen
ich denke an einen balanceakt
einen geburtstag mit herzen und schreienden kindern
am nachmittag dann versuche ich es dann mit einem seiltanz

ich stecke zwei dinge in die jackentasche
zwei dinge 
die mir wichtig sind
meinen hausschlüssel und meine korrekturflüssigkeit

ich nehme mir vor
nicht danach zu suchen
falls ich eines der beiden verlieren sollte

auf dem weg zum wochenmarkt 
verliere ich beide

um halb drei
erzähle ich alles der dicken buchhändlerin
sie gibt mir ohne viel zu fragen ihren hausschlüssel
und meint 
ich soll es mal mit auf der „stange sitzen“ probieren
das sei erfrischend

weitsprung ist seit tagen behördlicherseits verboten
sodass ich erstmal klein anfangen muß

am späten nachmittag dann
in der seitengasse
im 5. stock dann das wunder
der schlüssel passt nicht

auch nach der dämmerung betritt kein mensch das haus
im dunklen treppenhaus ziehe ich meine schuhe aus
und renne vom 5. stock hinunter zu den briefkästen
in allen briefkästen stecken noch die briefe und zeitungen vom tage

ich breche krüger´s briefkasten auf
haste nach oben
im 3. stock
drücke ich auf die klingel
lange, sehr lange
ich lege mein ohr an die tür und höre
kein mensch öffnet
auf der fensterbank dann öffne ich den ersten brief

mein geliebter
ich vermisse dich sehr
lachend bist du fort
ich blieb allein im leeren foyer
in dieser stille floß noch einmal das warme oel deiner silben
über meine heiligen hügel

im hotelzimmer noch wollte ich davonrennen
einfach weg, nur um keinen abschied zu nehmen
doch unten dann, unten im leeren foyer, neben dem leise atmenden fahrstuhl, fühlte ich den millionenalten basalt deines verschwundenen reiches durch meine jungen hände fließen
der gebänderte stein kühlte meine wangen und taubstumm
sang ich an der blauen sculptur des ersten morgen
o wunder deiner liebe

an der reception stand ich neben dir
zahlen
die telefonrechnung
ich sah noch, wie dich deine reisetaschen
krumm zogen
dein blick
eilte an meinem beben vorüber
wie damals an den mächtigen mauern der bastille

die hoteltür sprang auf und
du brachst mir mit dem gelben mond des portiers
das letzte stück stolz aus meiner wunderliebe
herz noch frei

da stand ich
in der großen hotelhalle
und seelenstoff strömte kühl durch meinen liebespalast
der basalt schwankte im luftzug der hoteltür
und meine fußspitzen
küssten leis den lehmhimmel

bye
das salz der nacht loste mich aus
ich stürzte aus der hotelhalle, flüchtete
aus der alten, verlassenen stadt
wollte dir nachschauen
nur nachschauen
du fuhrst an mir vorbei
und deine grünen augen
zogen ozeanisches licht
unter meinen füßen auf

zwei seitenstraßen später dann
saß ich schräg in meinem auto, hörte laute meldungen über illegale grenzübertritte und brüllte mit den armaturen

nimm mich mit
o geliebter
nimm mich mit

auf der fahrt durch die stadt verpackte ich alle autos, 
fußgänger,
kinder, alte frauen in rosarote seifenblasen.
verkehrschaos in meinem versorgungssystem. 
meine lunge schrie nicht mehr nach luft, alles gab jedem die hand.

stunden später stand ich in der innenstadt
in einer endlosen autoschlange und fühlte
zittrig heimat

in all diesem rosa gewimmel und getöse
von farbe, blech und junger liebe
das salz der großen patriarchalischen nacht

meine hände lösten sich vom lenkrad, 
ja, jetzt
wo ich dir diese worte schreibe, reißt meine gegerbte haut
der silhouette sprung aus der mächtigen nacht
zeichnet einen hellen bogen 
aus meiner lebenslinie,
ich sehe noch einmal
wie der sichelmond in meinen wassern tanzt,
fühle
wie du mit deinen schwarzen händen das junge salz
aus meiner quelle schöpfst

spät dann
parkte ich dann endlich vor meinem haus
hastete die treppen nach oben
stürzte mich in den platzregen
streckte mich weit
weit nach unten

in liebe
dein katharina

p.s.
von einsam gibt es keine steigerung
mir fällt nur vakuum und seifenblasen ein
ruf mich dienstag abend an unter
473788“

es ist dunkel geworden im hausflur
ich falte den brief sorgsam und schiebe ihn
mit kalten händen in den umschlag zurück



dann nehme ich den zweiten brief von der fensterbank
öffne ihn

werter herr krüger
am kommenden mittwoch ist es mal wieder soweit
unser posauenchor tritt nach der winterpause
erstmals wieder zusammen.
wir treffen uns wie gewohnt
um 19.30 uhr in der st. katharinenkirche
unsere vorbereitungen gelten den konzerten
in den pfingstwochen


folgende werke sind in der planung

franz list
petrarca sonnet nr. 104

robert schumann
kinderszenen op 15

johann sebastion bach
sonate a-dur ffür flöte und cembalo
bwv 1032
vivace - largo e dolce – allegro

johann sebstian bach
konzert a-dur für cembalo
bwv 1053
allegro – lerghetto – allegro ma non tanto

johann sebastian bach
kantante 63
2.citativo alto
o sel´ger tag o ungemeines heute

ich würde sie bitten ihre eigenen notenblätter
mitzubringen, da meine nur in begrenzter anzahl vorrätig sind

ich verbleibe mit freundlichen grüssen
chorleiter feininger“

die haustür fiel ins schloß
der brief fiel mir aus der hand

J.G:

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würde

Über Jahre in einem Wiener Labor. Primaten. Kein Tageslicht. HIV-Experimenten ausgesetzt. Nach ihrem Laborleben kommen sie zuerst in einen a...