Donnerstag, 15. September 2011

Reigen

"Kaum hatte ich Platz genommen, brachte er mir ein großes, überdimensionales Fotoalbum, so eines hatte ich noch nie in den Händen gehalten. Das Album vermittelte von außen betrachtet einen stark abgegriffenen, vergessenen, ja einen archäologischen Anschein und durch seine Größe gab es der Stunde etwas geheimnisvolles, ja märchenhaftes.

Ich schlug das Album auf und alles was ich an Lebensmaterie am Leib trug verschwand in der fotografischen Oberfläche wie in einem stillen See.

Heiter angelehnt an den ruhenden Himmel einer schottischen Landschaft begegnete ich Felix  in einem jungen Lichtbild, in seinen ersten adonischen Jahren.

Ein Sommernachtstraum.

Auf den großblättrigen schwarzen Seiten des Albums waren ganz sorgsam und mit liebvollem Bedacht nur ein oder zwei Bilder aufgeklebt, nur wenige Male drei oder vier, am Ende des Buches auf der letzten Seite sogar zwei Farbbilder nebeneinander, die mich wundersam ansahen.

Sogleich holte ich mir von Felix mehrere Pappstreifen, die man für heiße Bockwürste braucht um sie anzufassen. Die steckte ich im Bereisen der schottischen Tage in die weißen Wolken des Albums, die Seiten mit den wundervollsten Fotografien.

Manche Bilder waren recht belanglos, ja wie man sagt trivial, nichtssagend, doch es war gerade das Nichtssagende, das Sprachlose, dass der Bilderreise den Zauber von Anmut verlieh.

Es waren Bilder von Steinen, Felslandschaften, vom Meer, von Fahrrädern, Bilder von Hügeln, Bilder von Landschaften mit Zelten, Bilder von behörnten Kühen und alten, schlossähnlichen Gebäuden. 

Es waren Bilder aus einer anderen Welt, Bilder die man sonst nie zu sehen bekommt, nie, Bilder auf die man gewöhnlich 1000 Leben warten muss, Bilder aus dem ewig jungen Garten Eden, Bilder eines in sich verspielt, hell strahlenden Kindes aus Natur, Weib und ewiger Liebkosung.

In einem Lichtbild zeigte sich das junge Weib an einem Wasserlauf nackt auf einem Stein stehend, unverstellt, ganz und gar ohne Pose, ein tiefer Atemzug der Schöpfung. 

Auf einem anderen Foto, gibt sich der junge Stier bacchantisch verspielt, zärtlich und stark, so wie es von Anbeginn vorgesehen ist.

Die wilde Natur in ihrem schönsten Kleid wie auch die alten Gebäude mit ihrer Geste des historischen Verfalls von Epochen geben sich heiter und umranken das Lichtspiel königlich. 

Mitten in diesem Reigen fiel jäh ein goldener Regen von leise flirrender Erinnerung herab, Pyritstaub aus den Anfängen der Erddrehung, eine physische Erinnerung in den Zellen meines Körpers an den Lichtsatz des Hierseins." 

  ©   by  J. G:

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