Samstag, 22. März 2008

innen






alles aufheben
im schwarzen loch dann
durch die membran

hindurch
licht holen
sagenhaft
.
~
J.G:

Freitag, 21. März 2008

Donnerstag, 20. März 2008

parteilos










„Fünfmal erlosch, um fünfmal wieder aufzublinken“
aus der Fahrt des Odysseus


„Mein guter Freund aus dem Mittelgebirge rief heute Morgen an.
Er machte mich auf einen Artikel von Tilmann Jens in der FAZ aufmerksam. Walter Jens, sein Vater, leidet an Demenz.
Nun war Walter Jens, wie so viele Bürger des NS-Staates, in der Partei. Doch wie so viele habe er den Akt des Eintritts in die Partei einfach „vergessen“.

Ich kann das verstehen.

Ich habe auch viele Sachen vergessen, Dinge an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Zum Beispiel kann ich mich nicht mehr an den ersten Dienstagabend im Juni 1958 erinnern, an das Muster der Schürze meiner Mutter, ob mein Vater seinen Schlips schon geöffnet hatte oder nicht, ob meine ältere Schwester mit am Tisch saß und ob mein rothaariger Bruder unter dem Küchentisch auf seinen Knien ein Sigurdheft las.

Doch es gibt Schlüsselereignisse in einem Lebenslauf, Ereignisse, die man niemals vergisst, auch nach 100 Jahren und 1000 Leben nicht.

So kann ich mich noch genau an das blonde Haar meine Tochter erinnern. Unser Auto hatte auf der Fahrt nach Italien einen Motorschaden, das Fahrzeug abgeschleppt und wir fuhren mit einem kleinen Fiat an den Gardasee. Sie, auf dem Rücksitz, ich, vorne am Steuer.

Völlig aufgelöst von dem Ereignis saß ich am Steuer des kleinen Wagens und steuerte den Fiat unter dem blauen Himmel dahin. Sie schlief hinten auf den Rücksitz. Immer wieder musste ich mich nach ihr umdrehen, ein Bild, das ich nie vergessen werde, denn sie lag wie ein Engel dort, ihre blonden Haare in einem Fresko nass in die Stirn gemalt.

Nun Ort und Zeit wie das Unterschreiben eines Parteieintritts mit 19 Jahren, zumal unter sehr schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen, wie in den Jahren des Zusammenbruchs der NS-Herrschaft, kann in den Wirren der Zeit durchaus im Gedächtnis eines Einzelnen verloren gehen. Schließlich war das Ende vorhersehbar und Millionen Menschen in Europa achteten in den letzten Tagen des „1000jährigen Reiches“ darauf, dass sie mit heiler Haut davon kamen.

Nun war aber der NS-Parteieintritt in mehrfacher Hinsicht kein unbedeutendes Ereignis, wie z.B. der Kauf von Zucker und Milch an einem Freitag im März in einem Kaufmannsladen.

Kriege gab es immer, Verbrechen gab es immer, Morde gab es immer.
Das ist nicht neues in der Vita des Sapiens. Das alltägliches Betriebssystem des Überlebens.

Ein Partei jedoch, die die Herrschaft eines „1000jährigen Reiches“ ausruft, eine Partei, die die Vielfalt von Lebensentwürfen in den Gleichschritt einer Volksgemeinschaft lenkt und gewaltsam militarisiert, eine Partei, die einen Weltkrieg vom Zaun bricht bei dem mehr als 60 Millionen Tote zu beklagen sind, eine Partei, die Fabriken baut zur Vernichtung von Millionen Menschen jüdischen Glaubens, eine Partei, die für die Züchtung der reinen deutschen Rasse die Gleichschaltung der Gesellschaft mit Bleistift und Folter, Mord betreibt, eine Partei, die zum totalen Krieg aufruft, eine Partei, die Massenmord betreibt, lässt sich so etwas nicht ahnen, lässt sich solch ein beißender Gestank nicht meilenweit riechen, lässt sich solches Leid nicht in den Gesichtern erkennen, und kann man den Schriftzug auf braunem Papier bei seinem Eintritt in eine solche Partei vergessen?

Und wenn?
Spätestens nach dem Ende der Schreckensherrschaft, nach dem Erwachen, egal wie, ob nach einem enttäuschten oder befreiten Erwachen, in dem historischen Lichtkegel der Aufarbeitung der Verbrechensherrschaft, hätte der Parteieintritt erinnert sein müssen und hätte erleichtert und von der Qual befreit eingeworfen sein können in den Weg der demokratischen Gestaltung der Gesellschaft.

Nun es scheint ein Charakterzug des Homo Sapiens zu sein, dass er sich weiß Gott nicht erinnert oder gar erinnert werden will an eine irgendwie geartete Beteiligung an Verbrechen.

Es ist doch merkwürdig, die Spezies des Sapiens organisiert ihr eigenes Überleben heute, nach gut über einer Million Jahre Entwicklungsgeschichte, immer noch privat wie staatlich mit dem Recht des Stärkeren, immer noch mit Gewalt, Krieg und Mord und ein bisschen Schönreden.

Will man irgendjemand, egal wen, ob er in Baby Yar hunderte von Menschen erschossen hat, am Schreibtisch Listen für die Transporte nach Auschwitz ausgefüllt hat, oder ob er, wie Walter Jens vermutet, einem „Karteivorgang“ zum Opfer gefallen sei, keiner kann oder will sich erinnern, noch fühlt sich irgend einer schuldig, oder gar aufgerufen seine Beteiligung im Nachhinein aufzuklären.

Immerhin gibt es so was wie ein Gewissen.
Wo ist es?

Aktuell sei hier einzufügen die staatlichen Verlautbarungen der Dynastie des roten Kaisers „Partei“ in China zu den Autonomiebestrebungen in Tibet.

Seit Jahren bemüht sich das Oberhaupt des tibetischen Volkes in seinen Schriften und Reden um Gewaltverzicht, der diplomatischen Aufhebung der Gewaltspirale und der Hinwendung zu einem Dialog der Kulturen. Der chinesische Staatschef Wen Jiabao verlangt den Meldungen nach von dem in der ganzen Welt wegen seines versöhnlichen Auftretens angesehene Mönch, „er müsse der Gewalt abschwören“. Der tibetische Kommunistenchef dreht im vorauseilenden Gehorsam den Spieß um und bezichtigt den Lama, er sei „ein Wolf im buddhistischen Mönchsgewand, ein böser Geist mit menschlichem Antlitz und im Herzen eine Bestie“.

Eine seltsame Aufarbeitung von Entwicklungsgeschichte, so als wolle man das unbewusste Betriebsmuster des Sapiens, einem System der permanenten Gewaltanwendung an Leib und Seele, so als wolle man im Falle Tibets mit der politischen Macht der Gewehrläufe und im medialen Gleichschritt von Umkehrung der Bilder und Buchstaben die Verletzung und Unterdrückung der Menschenrechte und die politische Ordnung der systematischen Gewaltanwendung auf Jahrhunderte aufrechterhalten.

Sind die Olympischen Spiele im Sommer 2008 vorbei, so kann der chinesische Soldat in Tibet sich des gleichen Mechanismus wie Walter Jens und seinen vergesslichen Zeitgenossen bedienen und das gewaltsame Ereignis versuchen mit einem unschuldigen „nicht erinnern können“ rechtfertigungstauglich zu machen.

Das unbewusste Betriebssystem des Sapiens begeht permanent Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mit Vergewaltigung, Folter, Mord, Krieg, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde auf diesem Planeten. In seiner Rechtfertigung gibt die vom eigenen Vorteil im Überlebenskampf mit Angst umnachtete Spezies vor nie wirklich daran beteiligt gewesen zu sein, so als käme sie von Schuld entbunden davon, völlig unbeteiligt in dem was gelebt, geschrieben oder getan wurde auf der braunen Krume, so als gäbe es die Verbrechen nicht oder als letzter Rettungsanker, oft kaltschnäuzig vorgetragen, so als hätte die ruchlose Tat heldenhaft zur Rettung des Friedens und Menschwerdung beigetragen.

Die schon zu lange dauernde Historie des Rechts des Stärkeren, geschrieben in den Buchstaben von Mord und Totschlag des „Schuldigen am Ganzen“, trägt in seiner Permanenz und denkbeschlossenen Unheilbarkeit, heutigen Tags besonders mit der medialen Wucht, in einer himmelsschreienden Art zur öffentlichen Debatte um Gewissenserleichterung bei.

Hätte sich Walter Jens an den Karteivorgang nach 45 gewissenhafter erinnert, statt sich wie fast alle in den raunenden Schutzraum von „Verbrechen-Verdrängen-Vergessen“ zu flüchten, dann sähe man im hellen Schliff der Einkehr, das Leben mit jeder Geste und mit seinem unbegrenzten Vermögen an Leib und Seele seit Jahrtausenden ersucht, den hinfälligen Ast am Stammbaum der Evolution zu verlassen, um mit einem Beinchen den neuen Spross zu betreten. "

J.G:

Mittwoch, 19. März 2008

im hintergrund








gelingt
großes
.
~
J.G:

geneigt

in seichtem wind
grün
die gräser

himmel überall
lege ich mich in die welt
von nun an ungeteilt

sonnenmaterie
passiert 

den lebenskörper
alles strahlt
liebe
alles liebe
ohne tod
o welch süßer duft
strömt aus dieser hellen fuge
erde
.
~
J.G:

lichtsatz

sieht jeder
das ganze
sind wir
in der
musik
.
~
J.G:

es ist







die erde


die ruft
sieh mich an
sieh mich an
sieh
wie schön du bist
von innen
hell erleuchtet
.
~
J.G:

alles wege

erbärmliche paralyse
dieser zweibeiner ist
das sie alle sterben wollen
den ganzen planeten
bedecken sie
mit dieser elenden gewohnheit
o.k. sag ich
wenn du das willst
dann versuch es mal
tot sein
du wirst es erleben
es geht nicht
.
~
J.G:

Freitag, 7. März 2008

alles sterne





"was du wohl gerade machst"
der indianer



"Den Brief legte ich für einen Augenblick beiseite, hob im Sitzen mit Kopf und Atem den Körper und schaute durch das vermooste Glasdach zu den eilig über mich dahinziehenden Wolken.

Nach einem Monat der Einkehr und der Hinwendung zu den Dingen, Ermutigungen und Talenten, die aus einem Geständnis ihren sichtbaren Platz neben Teetasse, Tageszeitung und Tintenfass auf dem Küchentisch fanden, hielt ich einen handschriftlich verfassten Brief vom Indianer in den Händen.

Gliederlösend.

Bevor ich weiter las, ging ich mit dem Brief in der linken Hand zum Kühlschrank, öffnete die Tür mit der gleichen, entnahm einen Fruchtsaft und füllte mir ein Glas halb voll. An der geöffneten Tür fühlte ich wie das kostbare Salz der sich erinnernd mit Tränen aus dem Felsen tropfte und selig erlöst in das unteilbare Flussbett fiel.

Am nächsten Morgen habe ich mir in der Schnelle den Text der Bhagavadgita zusammen mit Bettine von Arnim in die Tasche gestopft. Folgende den Textstelle erinnere ich:

„Der Mensch aber, dessen Glück im Selbst ruht
und der volles Genüge findet in der Freude am Selbst und in dem Selbst,
der ist zufrieden.
Für ihn besteht kein Zwang zum Handeln.“

Nach dem Telefonat lag ich noch lange wach und mein kleiner Zirkus von Akrobaten, Gauklern, Taschenspielern gab noch bis spät in die Nacht hinein ein Vorstellung.

Kurz vor dem Einsinken in den Schlaf tanzte mit rosa Schühchen und einem hellweißen Röckchen eine Ballerina einen hinreißenden Tanz in meiner Manege. Lange silberne und goldene Fäden waren an ihre Arme gebunden und im Drehen des Körpers flirrten die Fäden wie Wölkchen und schmiegen nach und nach um ihren zarten Leib. Stunde um Stunde schaute ich fasziniert den anmutig federnden Drehungen, Verbeugungen und Neigungen zu, bis ich im Morgengrauen in den ersehnten Schlaf fiel. Was ich noch mitnahm in die Süße Ruhe war, dass sie die goldenen und silbernen Fäden nicht ein einziges Mal abstreifte, die feste Form der Bindung, die ihr die Fäden im Tanz schenkten, gab das, was den Sinnen immer verborgen frei. Das Antlitz des Selbst.

Am nächsten Morgen, im Zustand des groben Zuschnitts, vermag ich zu deuten, dass der wiegende und springende Tanz Liebe war und die Bänder die ungeheure Anzahl der Bindungen des Leben.
Die Fäden jedoch die Tänzerin nicht festhielten, sondern sie mit dem Tanz einen Kokon spann, der dann zum Morgen hin ihr „Alleiniges“ sichtbar machte.

In dem zweiten Buch fand ich Worte der liebenden Hingabe Bettine von Arnim an Wolfgang aus Weimar.

„Sie liebte nur die Liebe,
sie kniete nicht vor Goethe sondern in ihm;
er war ihr Tempel nicht ihr Gott“
schrieb Ludwig Börne 1862.

Auch für die nachfolgenden Geister dieser Zeit, Rilke, Romain Rolland, Hesse, gab dieser Satz Anlass für vielfältige Deutung.


Auf Seite 163 heißt es: „Sie verabsolutiert, sehr weiblich, nicht nur den Partner, sondern auch die Liebe, die das Geschöpf, die Geliebte, die Frau schöpferisch macht und sie aus der gesellschaftlichen und biologisch vorgegebenen Passivität entlässt.  ©   by  J. G: 

Montag, 3. März 2008

sturm und drang

„Seit gestern fegt ein Orkan aus Südwest über das Land.

Heute Morgen stellte mir meine Nachbarin ein Buch von einer Kolumbianerin, Ane Mendieta, vor die Tür gestellt. Ane hat „feminal figures“ visualisiert und geformt, eine Art von archaischem Alphabet des Urweiblichen. Die Zeichen und sich selbst hat sie in der Lehmerde Cubas freigelegt. Das hatte seinen Preis. Mit 36 Jahren hat sie sich kurz nach ihrer Heirat das Leben genommen.

In einer Woche bin ich erneut Gast im Schloss.

Nach dem Frühstück lese ich in der Welt einen Artikel über Martin Walsers Buch „Ein liebender Mann“.

Walser stielt sich mit knäblicher Lust unter das Stehpult und schlüpft im literarischen Kopierraum der Nation in den für ihn zu großen Rock, stolziert mit seinem Stock über das Karlsbader Kurpflaster, will in alternder Haut sich prostituieren, will öffentlich in den kleinbürgerlichen Schritt fassen, will selbst nachfühlen, was Liebe im sterblichen Abgesang aufhebend vermag. Walser 81, Goethe 74, Ulrike, seine Liebe, 19 Jahre.

Uraufführung des Lustspiels fand im Weimarer Festsaal statt. Von der präsidialen Leibstandarte und einem biederem Voyeurismus auf den Sockel der Literatur hofiert, fand sich unter kahlen Buchen und brünstigen Lüstern eine Bestsellergesellschaft ein, die vom Autor verschmäht hören musste, was Ulrike und Goethe in den Gassen des Marienbades nie gesagt hätten.

Das Feuilleton der Welt am Sonntag zeigte sich entsetzt über den kolportierten Zivilisationsverlust im Munde eines nationalen Denkmals, die reziproke Kulissenschieberei von Exaltation und Blasswerden auf der Bühne einer überschätzten Gesellschaft, das verkehrte Verzichttheater, die platte Entsagungsschau, die stupide Anrempelei auf der Kurgasse. „Dann schreib mir doch heimlich, Mensch“. Nie, so der Schreiber der Welt, nie hätte Goethe so etwas gesagt. Aber das ist eben Walser, eine unartig ausgearbeitete Erektion vor einem Bezahlpublikum.

Thomas Mann, so erfahre ich aus dem Artikel, hat sich mit „Lotte in Weimar“ schon im letzten Jahrhundert einmal Rock, Stock und Wort von Wolfgang ausgeliehen, um das Liebesgeflüster vor den Toren des jungen Leibes abzuhorchen.

Stefan Zweig schrieb dazu:
„"Lotte Kestner, die ehemalige Lotte Buff, die Jugendgeliebte Goethes und unvergeßbar als die Lotte des Werthers, kann der Versuchung nicht widerstehen, nach fünfzig Jahren, nach einem halben Jahrhundert Goethe, den Theseus ihrer Jugend, wiederzusehen. Ein Großmütterchen, reichlich delabriert von der Zeit und sonst weise geworden durch sie, begeht sie die süße Torheit, noch einmal das weiße Wertherkleidchen mit der rosa Schleife anzuziehen, um den ordensbesternten Geheimrat an die süße Torheit seiner Jugend zu erinnern. Und er sieht sie, ein wenig geniert, ein wenig gestört, und sie sieht ihn, ein wenig enttäuscht und noch geheimnisvoll berührt von diesem etwas gespenstischen Wiedersehen nach einem halben Jahrhundert. Das ist alles. Eine Fabel, groß wie ein Tautropfen, aber wie dieser ein Wunder an Farbe und Feuer, wenn angestrahlt vom oberen Licht." (Stefan Zweig)

„…wenn angestrahlt vom oberen Licht“, was für ein Spalt im dunklen Erz.

Im Taumel des Niedergangs, im freien Fall der Vergeblichkeit jeglichen Begehrens wird mit der Hingabe des Leibes die Gnade des Flutlichts im kosmischen Stadion der Liebe erfleht.

Der Landartkünstler Heizer hat in Nevada mit seinem Schaufelbagger jahrelang ganze Landstriche deswegen ausgehöhlt, nur um den Asphaltprimaten mit „double negative“ zu zeigen, was er eingeschlossen in Perspektiven und Funktionen von Zivilisation sediert teilnahmslos übersieht.

Den Seidenspinner.

In „Tod in Venedig“ wagt sich Thomas Mann auf damals gesellschaftlich vermintes Gelände. In dem Buch deckt der Autor den homoerotischen Leib in der Hingabe des Schriftstellers Gustav von Aschenbach zu dem Knaben Tadzio auf und begräbt damit auch seine bürgerliche Lebenslüge von einem strengen Eheglück. Am literarisch aufgedeckten homoerotisch leiblichen Verlangen ihres Mannes erkrankt, traf sich Katia mit ihrem Mann Thomas im Kurort Davos. Beide sich gegenseitig um Nachsicht und Verständnis bittend. In der Höhe des Kurortes fand Thomas Mann zu seinem Zauberberg und Katia in eine tragfähig, vergebende Dankbarkeit.

Ein erlösender Fingerabdruck in der Feuersbrunst der Materie scheint Sapiens nach gut viereinhalb Äonen immer wieder in das seitenverkehrte Buchstabieren von Pech und Schwefel zu verleiten.

„Alles was entsteht, ist wert, das es zugrunde geht“, lässt Wolfgang aus Weimar seinen Mephistopheles in Goeth´scher Alleinherrschaft fabulieren.

Mephisto spaziert geschäftstüchtig im Atem der ersten Hölle, in einer Sonnenwelt, einer vom Vergehen und Entstehen durchdrungenen Materie, die von Anfang bis zum unendlichen Ende strahlt, offensichtlich radioaktiv permanent auf Sendung ist, deren Frequenz die zweigeschlechtliche Spezies des Sapiens dumm und mit archaischer Angst bekleidet verteufelt.

Der amerikanische Schriftsteller Salinger schreibt:
„Die Wirkung radioaktiver Partikel auf den menschlichen Körper, über die man im Jahre 1959 so viel geredet hat, sind alten Liebhabern von Dichtung gar nichts Neues“

Nun verlangt der animalische Leib in seinem Begehren das Herz der Liebe, den unvergänglich strahlenden Leib zu umarmen und ihn nicht nur von Ferne zu verehren. Dabei ist es wurscht, ob der Gegenstand der liebenden Verehrung ein Weib oder ein Mann, eine Eisenbahn oder ein Küchenstuhl ist, Hauptsache Körper, ewig Sonne, Wasser Strand. Warm und weich, herrlich weiblich ausgedehnter Liebeslieb.

Wie soll man das Kunststück jedoch fertig bringen, wenn das, was mit Haut und Haar geliebt sein will, sich mit bloßen Händen nicht fassen lässt. Wie soll man den Glanz des Himmels bewahren, wenn schon im Pflücken des Klatschmohns das unsterbliche Rot aus dem sterblichen Herzen weicht. Wie soll man den Auftrag des Liebesboten nur erfüllen, wenn das, was einverleibt sein will, ohne gefressen zu werden, wenn die gesamte Phalanx der Denkprimaten seit Jahrtausenden liebeskrank daran zu Grunde geht.

In seinen Marienbader Elegien ging Wolfgang der Sache auf den eitlen Grund.

Mit dem Atemzug verlorener Anhöhe und gesellschaftlicher Bewunderung gestand er in den ersten zwei Zeilen des letzten Verses: "Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren, der ich noch erst der Götter Liebling war".

Weder die Höhe des nationalen Denkmals JWvGoethe noch Glanz und Ehre höfischer wie weiblicher Bewunderung, auch nicht der Schmerz des Abgewiesenen, haben den Fels aufzubrechen vermocht. Die letzte Zeile des Klageliedes: „Sie (die Götter) trennen mich - und richten mich zugrunde.“

Auch Martin holt sich mit seiner halben Erektion im Schädel an dem Liebesfelsen seine Beule. „Es gibt das Paradies: Zwei für einander. Es gibt die Hölle: Einer fehlt.“

Frau Levetzow, der Mutter seiner Geliebten Ulrike, schrieb Wolfgang dann einen Brief.

„Heute, verehrte Freundin, auf dem Lande, freundlich veranstalteten Festlichkeiten ausweichend, stelle ich jenes Glas vor mich, das auf so manche Jahre zurückdeutet, und mir die schönsten Stunden vergegenwärtigt. Nach so wundersam unerfreulichen Schicksalen, welche über mich ergangen, an denen Sie gewiss herzlichen Anteil genommen, wende ich mich wieder zu Ihnen und Ihren Lieben, einige Nachricht erbittend, die Versicherung aussprechend: Dass meine Gesinnungen unwandelbar bleiben. Ilmenau am 28. Aug. 1831 treu angehörig JWvGoethe“.

Nicht alle haben es mit ihren Füßen bis auf die karstige Höhe geschafft, haben sich schon im ersten Anstieg selbst Ausblick und Flamme genommen. Wolfgang war geologisch gebildet, lies lieber den Werther sterben und blieb selbst am Leben.

Warum springe ich an diesem stürmischen Morgen in meinem Glaspalast auf diesen Sonntagszug?

Habe ich doch selbiges seit Jahren im Reisegepäck, schreibe mir an dem eisernen Rad der Geschichte wie der Zurücknahme des literarischen Selbstmordes Buddhas Herz frei und Finger wund, so als wolle ich mit dem naiven Spiel des göttlichen Kindes über den erblindeten Spiegel des erwachsenen Denkens wischen, damit für einen Augenblick Licht aus dem Anfang der Welt vom Scheitel bis zur Sohle fällt.“

Die Geschichte hat ihren Ausgangspunkt in der Erzählung „Ein herrlicher Tag für Bananenfisch“, in der Salinger (Neun Erzählungen) seinen buddhistischen Helden in einem Hotel am Meer Selbstmord begehen lässt.

Im Hotelzimmer 507 drehe ich den Sargdeckel um, hebe den Selbstmord Buddhas auf und lasse den Charakter in einer anderen Zeit und in völlig anderen Zusammenhängen auferstehen.

Das Comeback.

Gleichsam wird damit das Scheitern der Poesie an der Welt aufgehoben. Die Poesie scheitert nicht an der Welt, sondern sie hebt die Welt darin auf.“

P.S.

Für Wolfgang und Ulrike

„Zwei in einem Nest“ (ein Auszug)

Der Fahrstuhl fuhr zurück in die Eingangshalle.

Im Hotelzimmer 507 hing der Telefonhörer neben dem Telefonapparat, pendelte gewichtslos hin und her und tippte dabei dreimal flüchtig gegen den rosa Teppichboden.

Der Duft eines Parfüms strömte wie eine Herde hellbrauner Gazellen über den Flur des 5. Stockwerks.

„O Madame, legen wir uns vertikal ans Licht.“

Unbewegt lagen sie da, in all der tiefen Physik, masselos empor.

Die kleine Zeichnung rechts neben der offenen Zimmertür, mit 2 blauen, einer roten und einer weißen Stecknadel an die Wand geheftet, war blendend gelaunt.

„Das Tote ist nicht tot, Seymour, eigentlich ist es bewusst, flammend, so wie Johannes es in seiner Feuerschrift prophezeite.“

„Die Aborigines wandern schon seit Jahrtausenden in diesen Feuerlinien.“

„Dein alter Freund J.D. versucht seit Jahrzehnten mit unveröffentlichten Doppelhaikus eine strahlende Lichtung durch das Blei der Sesshaften zu schlagen.

„Schreiben ist eine Sache, umherziehen was anderes.“

Sie stieg aus dem Bett und ging barfuss durch die halbgeöffnete Tür ins Badezimmer.“


© 2008 J.G:

sapiens revue

„Die alten Kaiser besetzten das öffentliche Wort negativ.  Die Neuen machen das auch. Mit Macht. Der Mensch soll tunlichst seine sterbliche ...