Dienstag, 19. November 2024

sapiens revue

„Die alten Kaiser besetzten das öffentliche Wort negativ. 


Die Neuen machen das auch.

Mit Macht.

Der Mensch soll tunlichst seine sterbliche Rolle nicht vergessen. 


Das Entertainment neben der Bühne der Macht, mit langen, blondierten Haaren, einer übergroßen blau getönten Brille, langen, spitzen künstlichen Fingernägel, schlägt mit einem eigenen Parfüm und in kurzen Hosen kichernd vor laufender Kamera geschlechtslos zurück. 


Das öffentliche Wort von einem Singvogel mit einem Duft besetzt.“



©   by  J. G:

Sonntag, 17. November 2024

im bogen



die silbe

gegenüber 

das wort

hält ausschau,

nach dem unsterblichen

im sterblichen


©   by  J. G:

Samstag, 2. November 2024

late night show

zucken und zappeln

in der Maschine

vor den Toren des Olymp

eine griechische Tragödie

bis der Kokon

des Unbewussten

zerbricht


"Der Fluss beginnt zu brennen"

Die Schlacht der Falschmünzer 

im Land der Unsterblichen Silbe hat begonnen.

Erneut reißt das Maul der Lüge und des Todes auf.

Vor diesem Schlund fürchtet sich selbst der rote Saft der Geldfresser,

Gottheit des Eisens und der künstlichen Intelligenz.

Sterbliche stürzen sich ins Lager der Menschenfresser,

dem Wahnsinn verfallen.

Jeder zu seiner Partei.

Jedoch kämpfen sie nicht mehr nur für ihre Partei.


Schlimmer.


Sie kämpfen gegen ihresgleichen.


Krumm wie eine Larve in der Finsternis



©   by  Johan van der Leeuwen



Worte des Kreon:

"Denn nichts, was bei den Menschen jemals Sitte ward, 
ist so verderblich wie das Geld: selbst Städte tilgt 
es aus; es jagt die Männer aus den Häusern fort, 
es wandelt auch die redliche Gesinnung um 
und lehrt sie hässlichen Geschäften nachzugehen; 
es unterweist die Menschen in Verschlagenheit, 
und auch Verbrechen nicht zu scheun bei ihrem Tun. 
Die aber lohngedungen jene Tat verübt, 
die haben endlich ihre Strafe sich erwirkt

Sophokles, Antigone, S. 133 






Donnerstag, 31. Oktober 2024

Samstag, 19. Oktober 2024

Dienstag, 15. Oktober 2024

am abend

grün

der mond

in der nacht

ein traum

am tag

mit goldenem besatz

licht im mund


©   by  J. G:






Freitag, 11. Oktober 2024

malerei



monsieur,

noch ein glas wasser


kommen sie

wir gehen ins atelier

setzen sie sich

sehen sie doch

hier

dieses gemälde

eine leihgabe

aus dem land der trauben

aus afghanistan

in kyanite dunkelgrau

zinnober monte amiata

und analusisch rotem ocker

dann hier

sehen sie

etwas russisch grüne erde

cadmiumgelb

eierschalenweiß

und weit draußen

im raum

traubenkernschwarz

und hören sie dort

in der tiefe 

der sedimente

der irdische chor

des himmels

grund unseres kommens

es ist nicht

das schreiende blutbad

scharlachrot

das atonale porträt

des 20. jahrhunderts

kopfstehend

vermalt

und seitenverkehrt

seit jahrhunderten

der schwarze strich

raffiniert

kopiert

das zuckerstück

mit dem gesichtsscanner

eingesperrt

das kind

hingerichtet

der ewig schuldige

beklatscht

von der schwindsucht

in der hand

das alte schwert

gegen leben

und menschwerdung

dort 

sapiens uniform

umnachtet

vom fall

des unsterblichen

ins gelbe ei

wütet gegen sich

ruft verzweifelt

nach erlösung

tötet im rausch

sich selbst

kinder mütter väter


hier

monsieur

sehen sie

unverschleiert

es ist

achat pfirsich nr. 9

was für eine morphologie

was für ein komposition

hören sie diesen ton

mit ihm

folgt keiner mehr

an den küchentischen

und in den cafés

dem stellungsbefehl

nicht einer


kommen sie

wir gehen in den garten

es ist noch warm



 ©   by  J. G:





Samstag, 5. Oktober 2024

husch

eine

kurze periode nur

eine eitle sekunde

noch nich mal

kaum der rede wert

unsäglich

der schlachtenlärm

des sapiens

eines tags

verschluckt

das ich

verschwunden

im vakuum

wiege von äonen 


 ©   by  J. G:



am morgen


 einen kuss

für dieses wort

gab sie ihm

es war poesie

das lied der unsterblichen


 ©   by  J. G:

Samstag, 28. September 2024

Ein Viertel




Was für eine Überraschung, Monsieur.

Welch eine Freude zu dieser Mittagsstunde!

Kommen sie, ich zeige Ihnen das Neusteste in meinem Atelier.

Letzte Nacht die letzten Striche.

Die Farben sind noch nicht ganz trocken.

Dort, sehen sie, auf dem Boden steht es.

Übertüncht, in der Mitte, Buchstaben.

Gehen sie ruhig näher ran.

Lesen sie. 



"...selten...von oben... auf sich ... Leben...

meist... unten angekom.... to... Steine..."*1



Eine lange Zeit konnte ich keinen Pinsel mehr halten.

Sie wundern sich.

Die Hände wollten nicht mehr.

Konnte keine Leinwand mehr sehen. 

Musste raus.

Das ganze letzte Jahr.

War auch in der Klinik.

Ein einziger dunkler, brennender Schatten lag über meinem Atelier.

Schauen sie mich an, wie ich aussehe.


Sie sagen, sie hatten die Kontrolle verloren?


Ja, wie soll das gehen in diesem Riesenreich?

Eine Naturkatastrophe.

Ein Waldbrand nach einem Blitzeinschlag.

Eine Riesenwelle nach einem Erdbeben.

Kontrolle?

Wie geht das?

Da bringt man sich lieber nur noch in Sicherheit.

Hatten sie Angst?




Ich war erstarrt.

Spürte wie eine Art  Kristall um mich barst.

Ausgesetzt. 

Nackt, ohne Schutz von Rettungssanitätern und Gedanken.

Schwindel, eiskalt und mit Atemnot.


Sehen sie, hier auf dem Bild, das sind die seismographischen Linien dieses Ereignisses.

Brüche.

Nur Brüche. Kristallene Starre.

Und dann das.

Sedimente, sie mutieren zum Subjekt.

Ein traumatischer Zustand.

Sedimente handeln.

Sie erfinden, suchen ihre ureigene Bewegung, eine Lesart von Licht in Materie.

Suchen nach dem Weiter, nach Bindung und Material.


Nach was für Material?


Die Brüche sind in Han Purpur auf die Leinwand gebracht.

Brüche suchen. Sind nicht machtlos.

In diesen Brüchen entstehen neue Verbindungen, Visionen.

Die Formen verändern sich, werden zu Lianen.


Da scheint etwas durch. 

Nicht leicht zu entziffern.

                               

Mit Han Purpur kündigt sich was an.

Musikalisch würde ich sagen, es sind Posaunen.


Ein Bote.


Ja, nicht in den Brüchen, an den Rändern, den Ufern schon, in den Schwingungen..


Da scheint etwas durch, das wir nicht so gut sehen können, aber doch sichtbar ist, 

animiert durch die Farbe Ploss Blau.

Je mehr Farbe auf der Leinwand verteilt, je transparenter.


Was sieht sich da?


Kein Objekt.

Kein Tod.

Alles Subjekte. 


Lebewesen?


Würde ich so nicht sagen.

Finde kein Wort dafür.

Irgendwie heller, durchscheinender als Lebewesen, transparenter. 

Diese Farbe hebt das Undurchsichtig auf,  Trennung verschwindet. 

Trennung, das ist nur ein Schleier. 


Und was ist das da, da oben und unten?


Bleizinngelb Hell, sehr  hell.

Ein greller Tag, der nicht enden will.

Dieses gleißend Grelle drängt das Bild in eine Gleichung. 


Eine Gleichung für was?


Malen und Zeichnen, es passiert in einem physischen Zustand.

Ein Akt. 

Eine archaische Berührung.

Seit Anbeginn ist das ein Tanz auf der ganz großen Leinwand.

Atome, Moleküle, sie berühren sich, verbinden sich.



Und stoßen sich wieder ab.


Ja, alles In Nullkommanix. 

Keine Zeit im Spiel.

Anstoßen, umarmen, freigeben. 


Ein ewiges Lichtbild; Madame.



Totes Material, Sedimente, von Licht und Wasser über Jahrmilliarden belebt. 

Mit mir stehe ich plötzlich nach Millionen von Jahren vor einer Leinwand, male und zeichne. .

Ja, wen und was denn?


Die Welt, sich selbst.

 

Das ist doch unheimlich. 


Madame, welche Farbe ist das?

 

Das ist Kosmochlos Jade..

Ja, eine Farbe, die diese Art von "sich sehen" offenlegt. 


Und hier?


Ja, Monsieur, Plasma ist auch im Spiel. Das überlebt jede Katastrophe. 

Meine Initialen, in Opalrot.


Eine Heimsuchung?


Ja, ja, richtig.


Und,  wie geht´s hier weiter?


Über Jahrmillionen nur Kiemenatmung.

Und plötzlich soll man mit den Lungen atmen.

Jahrmillionen nur kriechen.

Plötzlich soll man fliegen.

Jahrtausende tasten und denken in unbewussten Zeiträumen. 

Plötzlich sieht und fühlt man anders, in Materie, die wach ist.

Alles ist so unglaublich ausgedehnt.

Kein halten mehr.



Ja, wie denn? 


Erstickungsanfälle.

Kaltschweiß. 

Lichtfallen.



Wohin?


Anfangs n diese elende Starre. 

Doch dann.

Eine Bogensekunde nach dort oder hier.

Eine winzige Bewegung nur.

Schon ist alles anders. 

                                      

 Durchscheinend.


Nicht nur ich, sondern auch das Bild, 

puuh, die Welt selbst schaut.


Eine Nötigung.


Absolut.!

.

 

Monsieur, ich bin etwas über 50, kosmisch gerade mal eine viertel Sekunde am Leben, wenn es hoch kommt. Meine Kinderschuhe, die ganzen Bilder, mein ganzes Leben steckt in diesem winzigen Viertel. 


Eine Hirnraserei.


Ja, und gleichzeitig eine unheimliche Ausdehnung und Ruhe in diesem Viertel.

Hier meine Hände, fühlen sie meinen Puls.


Ein passabler Takt.


Ein pulsierender Ort, dieses Viertel.


Heimat aus Kohlenstoff.



Und mehr.

Hier, sehen sie, dieser Ort hat nicht nur Hände, kann nicht nur einen Pinsel halten, Bilder malen, einen Kaffee am Mittag kochen, lieben, er kann auch die Leere dieses Universums, diesen rasenden Stillstand in diesem Viertel empfinden, einen tiefen Atemzug nehmen und einen Strich in der Nacht auf der Leinwand setzen.


Eine Sensation.


Seit Milliarden von  Jahren flitzt ein Zündfunke durch dieses kleine Viertel in meinem Atelier.

Und jetzt, ja jetzt malt dieser Zustand mit mir die Linie nach rechts, die auch gleichzeitig eine Linie nach links ist, und umgekehrt.

Und, male ich die Linie nach oben, ist sie auch gleichzeitig eine Linie nach unten, und umgekehrt.

Und dann noch mit all dem Licht in dieser Finsternis.

 

Willkommen im Weltenraum, Madame.


Kommen sie, wir gehen in den Garten.

Es ist noch warm.



 ©   by  J. G:



„Nur sehr, sehr selten hat man von oben einen Blick auf sich und sein Leben. 

Meist geschieht das, wenn man ganz unten angekommen ist, im Reich der toten Steine.“ *1


sapiens revue

„Die alten Kaiser besetzten das öffentliche Wort negativ.  Die Neuen machen das auch. Mit Macht. Der Mensch soll tunlichst seine sterbliche ...