Sonntag, 9. Juni 2019

Vorwort





Seit gut 60 Jahren ist die Öffentlichkeit im Besitz eines außergewöhnlich Bildes.


„Liegt von der Erde
erst einmal ein aus dem Weltraum aufgenommenes Photo vor...
wird das einen der größten Umdenkungsprozesse
der Geschichte auslösen.“
Fred Hoyle

Anfangs waren es Militärpiloten und Personen der militärischen Sicherheitsabteilungen der Sowjetunion und Amerikas, die diese Ansicht zur Verfügung hatten.

Heute, 60 Jahre danach, ist das Bild der ganzen Erde aus dem Weltraum wie auch die Satelliten-und Raumfahrttechnik zur wirtschaftlichen Triebkraft in der Globalität geworden. Die gesamte wissenschaftliche und technologische Entwicklung der Telekommunikation der letzten Jahrzehnte findet ihre Basis in diesem Weltbild.

Außerdem dient es als Symbol für die weltweite Präsenz der Global Player und läuft mehrmals am Tag und in der Nacht als Animation über die Screens von Google und Co.

Die Astronauten und Kosmonauten begannen erst 1986 mit dem gemeinsam veröffentlichten Band „der Heimatplanet“ wie auch sich anschließenden Vorträgen von diesem Phänomen der Ansicht der Erde aus dem Weltraum mit den eigenen Worten ihres Kulturraumes zu sprechen.

„Es ist unglaublich, was der Mensch da gesehen hat.“
Euklid
Hat sich das Weltbild der Menschen durch dieses Photo nachhaltig und tiefgreifend verändert?


Und wie ist es mit dem Verhalten, hat sich das grundlegend geändert?

Die Statistiken und Zahlen der verschiedenen World Watch Institute, die sich mit dem globalen Zustand der Lebensformen beschäftigen, sprechen eine andere Sprache. Die Ergebnisse der Konferenzen in Rio und Berlin und ihre Nachfolgekonferenzen ebenfalls.

Nur recht mühsam und eigentlich zu langsam passt sich das Verhalten der Menschen an das ökologische Wissen und den globalen Erkenntnisstand der Forschung an, wie auch an die notwenigen Maßnahmen zur Renaturierung der natürlichen Lebensbedingungen wie Sozialisierung des Miteinander von Natur und Mensch.

Die Astronauten und Kosmonauten erzählen uns, man bekäme ein Gefühl, ja, ein Erleben für das Ganze, wenn man die Erde von oben sehen würde.

Was ist das überhaupt für ein Gefühl?

„und dann ergriff mich ein neuer gedanke,
der mich aus dem raum in die zeit trug“
francesco petrarca 1336

Haben wir auf den Straßen und in den Wohnungen auch dieses Gefühl, wenn wir eine Werbeanzeige in der Tageszeitung sehen, auf der das Bild der Erde abgebildet ist? Sehen wir das Ganze, wenn wir eine Nachrichtensendung sehen, in der das Bild vor unseren Augen in Sekundenschnelle über den Screen läuft?

Ja, können wir sagen, wir sehen es.
Aber nehmen wir auch die tiefere Bedeutung wahr?

Die Mona Lisa können wir erleben in Paris, der Königin von Saba begegnen wir, begibt man sich auf ihre Spuren, die griechische Kulturgeschichte ist präsent, betritt man die Akropolis. Und man bekommt ein tiefes Empfinden für das ganze Leben, wenn man sich über die Wiege beugt, in der ein Baby liegt.

„....die Sache will erlebt sein“, so Erwin Schrödinger.


In Beschreibungen, Bildern, Erzählungen, Vorträgen, Videos und Animationen haben viele Autoren versucht, dieses Phänomen zu beschreiben und im Bewusstsein der Menschen wirksam werden zu lassen.

Die Weltraumfahrer sagen, du musst einfach mal selbst dort oben gewesen sein und herunter gesehen haben auf die Erde, um die Faszination dieses Bildes zu begreifen.

„Wir sind einen großen Schritt weiter.
Das Ganze lässt sich jetzt mit einem Blick überschauen.“

Doch wer kann da oben schon hin?
Das war in den letzten Jahrzehnten nur wenigen Menschen vergönnt, die als Astronauten und Kosmonauten ausgebildet wurden.

Geht man von den persönlichen Erfahrungen und Kommentaren der Weltraumfahrer aus, dann würde es uns allen sehr gut tun, wenn jeder Mensch die Erde einmal aus dem Weltraum selbst erleben könnte.

Der Mensch könnte dann nicht nur das unmittelbare Gefühl wahrnehmen, auf einen Planeten zu schauen, live, auf dem er lebt und alle anderen Menschen und Lebensformen auch, sondern es würde sich auch eine Verantwortung in ihm melden, eine Verantwortung für das Leben, eine Haltung, die nicht von außen kommt, sondern unmerklich von innen aufscheint.
„so dass das Ganze nicht erklärt werden muss,
sondern sich zeigt“
nach Wittgenstein

Wie schaffen wir es eigentlich, dem Menschen eine Haltung für das ganze Leben an die Hand zu geben, ohne ihn dabei von außen zu bevormunden, ohne ihm vorzuschreiben, was er dabei zu denken und wie er sein individuelles Leben zu gestalten hat?

Eine nachhaltige Bewirtschaftung des Planeten Erde benötigt in Zukunft sicher beides, globale Verantwortung und individuelle Freiheit.

„Ist Ethik kein Wort,
sondern ein kreative Haltung des Menschen,
 so fließt aus allen emotionalen und mentalen Aktionen
ein Gefühl von Verantwortung.“
Heinz von Foerster

Das ist eine der großen Aufgaben in einer zukünftigen Wissensgesellschaft, die globale Verantwortung zu synchronisieren mit der kulturellen Vielfalt individueller Lebensentwürfe.

Ein wichtiger Schritt in der Gestaltung der Globalisierung ist, dass wir sie nicht nur wirtschaftlich verstehen, sondern im Interesse der Menschen auch und insbesondere kulturell kommunizieren.

Ein gewichtiger Beitrag dazu könnte das hier skizzierte Projekt sein, die Live Ansicht der Erde auf einem großen Platz den Menschen, frei begehbar, zur Verfügung zustellen.

Die in der UNESCO zusammengeschlossenen Staaten sollten in dieser Hinsicht ein elementares Bildungsinteresse haben, der Live Ansicht der Erde aus dem Weltraum den Status eines medialen Weltkulturgutes zuzugestehen.

Die Welt als Ganzes,
das ist Wissensrohstoff des 21. Jahrhunderts.
Aus diesen Zusammenhängen
generiert sich das neue Wissen und ein neues Miteinander.“

Es wäre ein integrales Bildungsanbot an den Weltbürger und ein sehr hilfreiches Moment für den Frieden in der Welt, für die globale Sicherheits- und Friedenspolitik, die Haltung der Menschen zur Welt, allein durch diese schöne Aussicht, auf diese Art und Weise kulturell wie emotional zu anzusprechen.

Die Menschen haben besonders im letzten Jahrhundert keine guten Erfahrungen gemacht mit großen Zusammenschlüssen und ihren Ideologien, das ist auch u.a. der tieferliegende Grund für ihre Skepsis gegenüber dem Format einer Globalisierung.

Solche Mega-Zusammenschlüsse haben es dem Menschen nicht leichter gemacht, in einem freien Umfeld kreatives Potential für eine humane Gesellschaft von unten nach oben zu entfalten. Vielmehr schränkten sie die Entwicklungen neuer Lebens- und Wirtschaftsformen immer wieder mit starren sozialen und politischen Regelungen drastisch ein. Das Wiederaufflammen solch starrer Ideologien in den heutigen Tagen ist ein ebensolcher Versuch, die kreativen Ansätze von der Lösung der gewichtigen Fragen der Weltgemeinschaft fernzuhalten.

Umso wichtiger scheint es zu sein, dass Ideen, Vorstellungen und Projekte auf die sensiblen Erfahrungen der Menschen mit großen Zusammenschlüssen eingehen und Rücksicht nehmen.

Nach der Entdeckung und Nutzung dieser Erd-Ansicht von Seiten der Militärs, der Wissenschaft und der Wirtschaft wird es Zeit, dass diese Perspektive dem sozialen Kulturraum in aller Öffentlichkeit als mediale Konstante, einer Wahrnehmung des "sich Sehens", zur Verfügung gestellt wird.

Wie sollen die Menschen in ihren Weltanschauungen, Konfessionen und Lebensarten den Übergang in die globale Gemeinschaft der Nationen sozial bewältigen, wenn sie bislang noch nicht einmal großräumig das Original, live, über einen längeren Zeitraum betreten und erleben konnten.

Die historische Bedeutung dieser Ansicht liegt in seiner Unumkehrbarkeit. Der Mensch lebt, seit es dieses Bild gibt, in EINER Welt. Es handelt sich dabei nicht mehr um eine perspektivische Ansicht der Welt, sondern um eine a-perspektivische, so wie Gebser es in seinem Buch „Ursprung und Gegenwart“ beschrieb, eine Ansicht, die das „Ganze“ als Synonym für die innere Zusammenhänge der Welt zur gemeinsamen Voraussetzung für den Entwurf einer neuen, friedlichen Welt macht.

Diese Erfahrung „selbst“ zu machen, dies muss dem Menschen ermöglicht werden, so wie es die Astronauten und Kosmonauten erleben.

„Selbst sehen“, dieser Akt unmittelbarer Erfahrung hat eine zentrale Bedeutung auf den historischen Verlauf der Geschichte, sowohl für den Erkenntnisprozess wie auch für die kreative Gestaltung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens. So wie z. B. vor 500 Jahren der Buchdruck dem Menschen es ermöglicht hat „das Buch“ selbst zu lesen.

Unter den politischen wie wirtschaftlichen Voraussetzungen der Globalisierung ist es für den Kommunikationsprozess der verschiedenen Kulturen von großer Bedeutung, den zentralen Platz der allgemeinen Weltanschauung „selbst“ zu betreten, um sich am Gespräch und an der Gestaltung souverän wie kreativ beteiligen zu können.

„To open a space for the other“ Maturana




© copyright 1988  by Hans Holl

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überaus

 still ein blatt im wind   ©   by  J. G: